Aus den Aufzeichnungen von Mutter Agnes (Pauline)
30. September, Donnerstag, Tag ihres kostbaren Todes
Am Morgen während der Messe war ich bei ihr. Sie sagte kein Wort zu mir. Sie war erschöpft, sie keuchte; ich erriet, dass sie unbeschreiblich litt. Einmal faltete sie für einen Augenblick die Hände, blickte auf die Statue der allerseligsten Jungfrau und sagte:
Oh! Ich habe inbrünstig zu ihr gebetet! Aber es ist die reine Agonie ohne jeden Trost.
Ich sagte ihr einige mitfühlende, liebe Worte und fügte hinzu, dass sie mich während ihrer Krankheit sehr erbaut habe.
Und Sie! All der Trost, den Sie mir gespendet haben! Ah! Er war sehr groß!
Ohne zu übertreiben kann man sagen, dass sie den ganzen Tag wahre Folterqualen litt ohne einen Augenblick der Ruhe. Sie schien am Ende ihrer Kräfte und doch konnte sie sich zu unserer großen Überraschung bewegen und sich im Bett aufsetzen.
Sehen Sie, sagte sie zu uns, wie viel Kraft ich heute habe! Nein, ich werde noch nicht sterben! Es reicht noch für Monate, vielleicht für Jahre!
»Und wenn der liebe Gott das wollte«, sagte unsere Mutter, »würden Sie es annehmen?«
In ihrer Herzensangst begann sie zu sagen: Ich müsste wohl ...
Aber sogleich fasste sie sich, und während sie auf ihre Kissen zurücksank, sagte sie mit einem Ausdruck erhabener Ergebenheit:
Ich will es gern!
Ich konnte wohl die Worte aufschreiben, die sie sagte, aber der Ausdruck, mit dem sie sie sagte, lässt sich unmöglich wiedergeben.
Ich glaube nicht mehr an den Tod für mich ... Ich glaube nur noch an das Leben ... Nun gut, umso besser! Oh mein Gott! ... Ich liebe ihn, den lieben Gott! Oh liebe allerseligste Jungfrau, komm mir zu Hilfe! Wenn das der Todeskampf ist, was ist dann der Tod?! Ah! Guter Gott! ... Ja, er ist gut, ich finde, sehr gut! ...
Indem sie die allerseligste Jungfrau ansah:
Oh! Du weißt, dass ich ersticke!
Zu mir:
Wenn Sie wüssten, was es heißt, zu ersticken!
»Der liebe Gott wird Ihnen helfen, meine arme Kleine, und bald wird es vorbei sein.«
Ja, aber wann? … Mein Gott, hab Mitleid mit deinem armen kleinen Mädchen! Hab Mitleid mit ihm!
Zu unserer Mutter:
Oh Mutter, ich versichere Ihnen, der Kelch ist voll bis zum Rand! ... Aber der liebe Gott wird mich nicht verlassen, sicher nicht ... Er hat mich nie verlassen ... Ja, mein Gott, alles, was du willst, aber hab Mitleid mit mir! Schwesterchen, Schwesterchen, betet für mich! ... Mein Gott, mein Gott! Du, der du so gut bist!!! ... Oh ja, du bist gut! Ich weiß es ...
Nach der Vesper legte unsere Mutter ein Bild Unserer Lieben Frau vom Berge Karmel auf ihre Knie. Sie schaute sie einen Augenblick an und, nachdem unsere Mutter ihr versichert hatte, dass sie bald die allerseligste Jungfrau so liebkosen werde, wie es das Jesuskind auf diesem Bild tut, sagte sie:
Oh Mutter, bringen Sie mich schnell zur allerseligsten Jungfrau. Ich bin ein bébé, das nicht mehr kann! ... Bereiten Sie mich auf ein gutes Sterben vor.
Unsere Mutter erwiderte ihr, sie, die immer die Demut verstanden und geübt habe, sei vollkommen vorbereitet. Sie dachte einen Augenblick nach und sprach dann demütig die folgenden Worte:
Ja, es scheint mir, dass ich immer nur die Wahrheit gesucht habe; ja, ich habe die Demut des Herzens begriffen ... Es scheint mir, dass ich demütig bin.
Und sie wiederholte noch einmal:
Alles, was ich über mein Verlangen nach Leiden geschrieben habe - oh! Das ist trotz allem wirklich wahr! ... Und ich bereue nicht, mich der Liebe ausgeliefert zu haben.
Mit Nachdruck:
Oh nein, ich bereue es nicht, im Gegenteil!
Etwas später:
Nie hätte ich geglaubt, dass es möglich wäre, so zu leiden! Nie! Nie! Ich kann mir das nur aus meinem glühenden Verlangen erklären, Seelen zu retten.
Gegen 17 Uhr war ich allein bei ihr. Plötzlich ging mit ihrem Gesicht eine Veränderung vor sich; ich begriff, dass der Todeskampf einsetzte.
Als die Kommunität das Krankenzimmer betrat, empfing sie alle Schwestern mit einem liebevollen Lächeln. Sie hielt ihr Kruzifix und schaute es unablässig an. Über zwei Stunden lang zerriss ihr ein schreckliches Röcheln die Brust. Ihr Gesicht war rot angelaufen, ihre Hände waren violett, ihre Füße eiskalt, und sie zitterte an allen Gliedern. Reichlicher Schweiß trat ihr in riesigen Tropfen auf die Stirn und rieselte auf ihre Wangen herab. Ihre Beklemmung nahm dauernd zu, und um sich Luft zu verschaffen, stieß sie von Zeit zu Zeit unfreiwillig kleine Schreie aus. Während wir diese Stunden voll Herzensangst durchlebten, hörte man durch das Fenster ein Gezwitscher von Rotkehlchen und anderen kleinen Vögeln, aber so stark, so nah und so lang! Ich litt sehr darunter und betete zum lieben Gott, er möge die Vögel zum Schweigen bringen, dieses Konzert durchbohrte mir das Herz, und ich fürchtete, es würde unserer armen kleinen Therese lästig fallen. In einem Augenblick schien ihr Mund so trocken, dass Sr. Genoveva ihr ein kleines Stück Eis auf die Lippen legte, um ihr Linderung zu verschaffen. Sie nahm es mit einem Lächeln für Sr. Genoveva, das ich nie vergessen werde. Es war wie ein letztes Lebewohl. Um 18 Uhr, als es zum Angelus läutete, schaute sie lange zur Statue der allerseligsten Jungfrau hin. Einige Minuten nach 19 Uhr schließlich, nachdem unsere Mutter die Kommunität fortgeschickt hatte, seufzte sie:
Mutter! Ist das noch nicht der Todeskampf? ... Werde ich nicht sterben?
»Doch meine arme Kleine, das ist der Todeskampf, aber vielleicht will der liebe Gott ihn einige Stunden verlängern.« Tapfer erwiderte sie:
Also gut! ... Weiter! ... Weiter! ... Oh! Ich möchte nicht weniger lang leiden ...
Indem sie das Kruzifix ansah:
Ohl Ich liebe ihn! Mein Gott! ... Ich liebe dich!
Als sie diese Worte ausgesprochen hatte, sank sie plötzlich sanft zurück, den Kopf nach rechts geneigt. Unsere Mutter ließ unverzüglich die Glocke des Krankenzimmers läuten, um die Kommunität zusammenzurufen. »Öffnet alle Türen«, sagte sie gleichzeitig. Dieses Wort hatte etwas Feierliches an sich, sodass ich denken musste, der liebe Gott sagt jetzt im Himmel das Gleiche zu seinen Engeln. Die Schwestern hatten noch Zeit, sich rings um das Bett zu knien, und wurden Zeuge der Ekstase der kleinen heiligen Sterbenden. Ihr Gesicht hatte seine Lilienfarbe, die ihm bei voller Gesundheit eigen gewesen war, zurückgewonnen, ihre Augen blickten nach oben, strahlend in Frieden und Freude. Sie bewegte den Kopf auf anmutige Weise, so als habe jemand sie mit einem Liebespfeil göttlich verwundet, dann den Pfeil herausgezogen, um sie von Neuem zu verwunden. Sr. Maria von der Eucharistie näherte sich mit einer brennenden Kerze, um ihren erhabenen Blick aus der Nähe besser zu sehen. Im Licht dieser Kerze war keine Bewegung ihrer Lider zu sehen. Diese Ekstase dauerte ungefähr so lange wie ein Credo, dann stieß sie ihren letzten Seufzer aus.
Nach ihrem Tod blieb ein himmlisches Lächeln auf ihrem Gesicht. Sie war bezaubernd schön. Sie hielt ihr Kruzifix so fest, dass man es ihr aus den Händen reißen musste, bevor man sie begrub. Sr. Maria vom Heiligen Herzen und ich taten es zusammen mit Sr. Amata von Jesus, und wir bemerkten dabei, dass sie nicht älter aussah als zwölf oder dreizehn Jahre. Ihre Glieder blieben geschmeidig bis zu ihrem Begräbnis am Montag, dem 4. Oktober 1897.
Sr. Agnes von Jesus r.c.i.