Ich möchte mit einem Gedanken von Papst Franziskus beginnen:
Der Heilige, so beschreibt es Papst Franziskus in seinem Schreiben Gaudete et exultate Nr 19, ist ein Entwurf des Vaters, um zu einem bestimmten Zeitpunkt in der Geschichte einen Aspekt des Evangeliums widerzuspiegeln und ihm konkrete Gestalt zu verleihen.
Mir gefällt diese kurze aber klare Beschreibung des Heiligen:
Er ist ein Gottes-Entwurf. In ihm werden Gottes Initiative und Plan sichtbar. Gott hat einen Entwurf für mich persönlich bereitet, den ich entdecken und bejahen soll.
Er lebt in einer konkreten Zeit der Geschichte. Meiner Zeit und meiner Umwelt soll ich eine Antwort geben.
Ein Heiliger macht einen Aspekt, nicht das ganze Evangelium sichtbar.
Mit diesen Gedanken im Hintergrund wollen wir die Gestalt von Thérèse überprüfen.
Der Mensch als Entwurf
Kennen wir den Entwurf Gottes bei Thérèse? Es mag die Frage ein wenig befremdend klingen, das Bild aber, das von Thérèse oft verbreitet wurde, entspricht nicht ganz der Wirklichkeit: Einige Momente ihres Lebens wurden zu sehr betont, andere dafür lange Zeit verschwiegen, so dass Verzerrungen bzw. Verkürzungen ihrer Person entstanden sind.
Es ist wichtig, Thérèse von jenen Akzenten zu befreien, die sie mit Kitsch umgeben und dadurch den Eindruck von Lebensuntüchtigkeit erwecken. Selten werden die Korrekturen und Ergänzungen auf dem Lebensweg Thérèses besprochen. Hinter dem Namen Thérèse steht nicht ein verwöhntes Kind, sondern ein stark geprüfter und gereifter junger Mensch, was keineswegs als klein zu bewerten ist.
Zu den bekannten Beschreibungen der Person Thérèse gehört die Bezeichnung KLEIN:
sie spricht vom Wassertropfen und Ozean,
Spatz und Adler,
Blume und Zeder.
Die Entdeckung der eigenen Wahrheit ist nur der erste Teil eines Prozesses, es ist notwendig, die eigene Wahrheit mit den Licht- und Schattenseiten zu bejahen. In einem Brief an einen Priester in der Mission, für den sie betet, schreibt sie: O mein Bruder! Bitte glauben Sie mir, der liebe Gott hat Ihnen keine große Seele zur Schwester gegeben, sondern eine ganz kleine und sehr unvollkommene. Glauben Sie nicht, es sei Demut, die mich hindert, die Gaben Gottes anzuerkennen. … Einige Zeilen später: …und es beunruhigt mich nicht mehr, dass ich eine kleine Seele bin, im Gegenteil, ich freue mich darüber (B 224).
Thérèse schafft es, ihr Sosein (Kleinsein) zu bejahen. Welche innere Freiheit, welche Gelassenheit, welche Ausstrahlungskraft besitzt ein Mensch, der, um vor Gott oder vor den Menschen zu bestehen, keinen Aufputz braucht. Thérèse kann mit dem Begriff „klein“ umgehen, denn klein oder groß ist ja relativ: klein im Vergleich zu ... ein Tropfen Wasser im Vergleich zum Ozean.
Sie sieht den Wert der kleinen Dinge, der kleinen Aufgaben, der kleinen Schritte. Man gilt vor Gott als Mensch, egal wie groß oder wie klein man ist. Bejahen wir unsere Ohnmacht, unser Versagen, unsere Unzulänglichkeit und versuchen wir nicht, aus dem Menschen einen Engel zu machen. Es ist wichtig, die eigenen Grenzen anzunehmen, denn Gott liebt uns nicht aufgrund unserer Taten, sondern weil wir Seine Kinder sind.
Werdegang
Wie ist in Thérèse diese Haltung entstanden, und welche Schritte hat sie gemacht?
Thérèses Leben ist kurz, doch wir sehen in diesen wenigen Jahren, wie das Bild eines Menschen Schritt für Schritt entsteht und vollendet wird. Es ist für uns Menschen sehr wichtig, das eigene Bild, die eigene Wahrheit zu bejahen. Nur so können wir im Herzen frei sein.
Um Thérèse wirklich verstehen zu können, muss man fähig sein, extreme Bilder in Ruhe zu ordnen und Folgendes in Einklang zu bringen. Es handelt sich um paradoxe Situationen, die auch in unserem Leben vorkommen, wenn auch nicht in der Härte, in der Thérèse sie erlebt hat:
klein und groß,
Verzweiflung und Hoffnung,
Selbstbestätigung und Selbstvergessenheit,
Licht und Dunkelheit,
Gottes Zärtlichkeit und Gottes Ferne.
Der Tod der Mutter hinterlässt starke Spuren im Leben von Thérèse:
Am Tag von Mamas Hinscheiden oder tags darauf nahm mich Papa auf den Arm und sagte: - «Komm, gib deinem armen Mütterchen zum letzten Mal einen Kuss.» Und ich, ohne ein Wort zu sagen, drückte meine Lippen auf die Stirn meiner geliebten Mutter... Ich entsinne mich nicht, viel geweint zu haben, ich sprach mit niemand von den tiefen Gefühlen, die ich empfand... Stumm schaute und hörte ich zu... niemand hatte Zeit, sich um mich zu kümmern, und so sah ich manches, was man mir hätte verbergen wollen...
Sie verkraftet es nicht leicht... niemand hatte Zeit, sich um sie zu kümmern...
Die familiäre Situation, die eine große Stütze für das jüngste Mitglied bot, hätte die Ursache einer problematischen Entwicklung sein können. Lange Zeit kreist alles im Leben der Familie Martin um Thérèse. Es sind viele Schritte notwendig, bis die Kleinste der Familie eines Tages entdeckt, dass es auch andere Menschen gibt, die nicht da sind, nur um uns zu verwöhnen, sondern auch, um von uns respektiert, bejaht und anerkannt zu werden. Oft verrät der Vergleich mit den Blumen ihren inneren Kampf, die Verschiedenheit der Menschen und der Aufgaben zu akzeptieren.
Ein weiteres Thema ist die Schule:
Die Zeit in der Schule bereitet uns manche Fragen. Sie litt unter dem Kontrast zwischen ihrer seelischen Verfassung und dem Milieu des Internats, sie erfährt dort nicht große Sympathie. Nachdem Céline im Jahr 1885 ihre Studien beendet, bleibt Thérèse allein in der Schule. Die Vereinsamung und die Neigung zur Skrupulosität wirken sich negativ aus. So hielt es unser Vater für richtig, wie übrigens auch ich, die ich Mutterstelle an ihr vertrat, sie zu Hause zu behalten, damit sie dort ihre Studien zu Ende führe. Ihre schwache und mitgenommene Gesundheit war der Hauptgrund für die Entscheidung meines Vaters. Diese zarte Blüte konnte sich nur im Schoß der Familie entfalten.
Innerhalb der Familie gibt es verschiedene Meinungen. Onkel Isidore ist mit dem Verlassen der Schule nicht einverstanden und ist davon überzeugt, dass die Ausbildung unterbrochen ist. Verschiedene Meinungen werden laut:
Die Umgebung entspricht ihr nicht...
Schwachheit,
verwöhnt,
Vatersabhängigkeit,
übertriebene Sensibilität... sie kann nicht allein gehen.
Sie beschreibt diese Zeit: Die arme kleine Blume war gewöhnt gewesen, ihre schwachen Wurzeln in ein auserwähltes, eigens für sie gemachtes Erdreich zu senken, so erschien es ihr jetzt hart, sich unter Blumen jeglicher Art zu sehen, mit oft recht unzarten Wurzeln. (M 46).
Es ist gut zu sehen, dass Thérèse nicht als Heilige geboren wurde. Dieser Text verrät die Neigung, als Verwöhnte leben zu wollen. Reifungsprozesse sind notwendig. Reifungsprozesse an der Hand Gottes haben mit Läuterung und Befreiung zu tun.
Wir dürfen eine andere Seite in der Person Thérèses betrachten
In den Aussagen von einigen Personen wird ihre Durchsetzungskraft betont. Es gibt Situationen, die eine andere Thérèse beschreiben: wir denken etwa an ihren Klostereintritt. Sie hat sich etwas vorgenommen und will es erreichen: Kontakte mit dem Bischof, Reise nach Rom.
Der Mensch denkt und Gott lenkt, sagen wir. Korrekturen sind nicht immer angenehm, eher aber notwendig. Die Geschichte ihres Lebens zeigt uns Momente, die nicht nach ihrem Kopf gehen, d.h. die anders laufen und zur Läuterung ihrer Haltung beitragen: Wir denken an ihre Einkleidung und an die Ablegung ihrer Profess. Es war alles gut gedacht und geplant, doch der Gesundheitszustand ihres Vaters erlaubt nicht seine Teilnahme beim Schleierfest. Ich wusste nicht, dass am 12. Februar, also einen Monat nach meiner Einkleidung, unser geliebter Vater den bittersten, den demütigendsten Kelch trinken sollte. Ach, an jenem Tag sagte ich nicht mehr, dass ich noch mehr leiden könne!!! Es ist nicht angenehm, wenn man um sich herum murmeln hört, selbst in den Mauern des eigenen Klosters, dass eine Tochter die Gesundheit ihres Vaters zerstört hat, weil sie zu jung in den Karmel eingetreten ist! Auch sie muss manches in Kauf nehmen.
Selbstbewusst
Wiederholt sind wir mit der Bemerkung konfrontiert: Ich bin anders, ich bin verschieden. Sie will sich mit anderen nicht vergleichen: Ich weiß, es gibt Heilige, die ihr Leben mit erstaunlichen Bußübungen verbrachten, um ihre Sünden zu sühnen; aber was wollen Sie: "Es gibt viele Wohnungen im Haus des himmlischen Vaters." Jesus hat es gesagt, und deshalb folge ich dem Weg, den Er mir vorzeichnet. Ich versuche, mich in nichts mehr mit mir selbst zu beschäftigen, und was Jesus in meiner Seele wirken will, das überlasse ich Ihm (B 247).
Wir wollen nicht übersehen, dass sie gesundheitlich schwach ist. Trotzdem ist es ihr Wunsch, in einem Missionskarmel zu leben. Im März 1897 schreibt sie an Pater Roulland: Vielleicht möchten Sie wissen, was unsere Mutter über meinen Wunsch, nach Tonking zu gehen, denkt? Sie glaubt an meine Berufung (denn eine solche besondere Berufung muss vorliegen, und nicht jede Karmelitin fühlt sich berufen, ins Exil zu gehen), aber sie glaubt nicht, dass meine Berufung sich je verwirklichen lässt…
Zum Entwurf Gottes gehört die Läuterung:
Ein jeder von uns hat die Erfahrung gemacht, dass in unserer Religiosität oft die Fassade und Aufmachung im Vordergrund stehen, und Nebensächliches unsere Haltung prägt, große Ideale können aber verraten, dass wir eher uns suchen…
Eines Tages schreibt Thérèse: Als ich die Geschichte Frankreichs zu studieren begann, begeisterten mich die Berichte über die Heldentaten von Jeanne d'Arc, und ich fühlte in meinem Herzen den Wunsch und den Mut, sie nachzuahmen… Eine Entdeckung war aber notwendig, um den Weg authentisch zu gehen: Es ist möglich, "berühmt zu sein", ohne dass sie deshalb glänzende Werke vollbringen muss. Es ist möglich, "den Ruhm", von dem sie träumt, zu erwerben, indem sie "eine große Heilige" in den gewöhnlichen Dingen des Alltags ist.
Zwischen den verschiedenen Aspekten der menschlichen Entwicklung gibt es eine enge Verbindung. Der Mensch ist ein Ganzes, das das Emotionale, das Soziale, das Physische und das Spirituelle umfasst. Keinen dieser Aspekte darf man unbeachtet lassen, ohne damit der Einheit zu schaden.
Ihre eigene Zeit
Der Gott, den sie in ihrer Familie in sich "aufgenommen" hat, hat nichts mit dem Gott des Zorns und der Gerechtigkeit zu tun, mit dem sie im Milieu des Jansenismus in Berührung kommt. Der Gott, "zärtlicher als eine Mutter" (A 80 v), wird neuerlich in Frage gestellt.
Der Gott, den Abbé Youf, der einzige Hausgeistliche von Thérèse im Konvent, und die übrigen Priester predigen, die ins Kloster kommen, um die Exerzitien und Einkehrtage zu leiten, ist ein Gott der Strenge, der Gerechtigkeit und des Zorns. Der Einfluss des Jansenismus!
Im Leben von Thérèse gibt es eine interessante Änderung der religiösen Blickrichtung. Ich setze voraus, dass in dieser Zeit der Jansenismus sehr stark war, nicht nur in der Gesellschaft, sondern auch in manchen Ordensgemeinschaften.
Wir sind Kinder unserer Zeit und brauchen manchmal Mut und Kraft, uns von der allgemeinen Meinung der Gesellschaft nicht beeinflussen zu lassen.
Jeden Tag versuche ich, so viele Übungen zu machen, wie ich nur kann, und ich tue alles, um mir keine Gelegenheit entgehen zu lassen. In meinem Herzen bete ich die kleinen Anrufungen, die der Duft der Rosen sind, so oft ich kann (Brief 11).
In 68 Tagen: 1949 kleine Opfer (das heißt 27 pro Tag) und 2773 kurze Gebete (40 pro Tag)! Thérèse vermerkt in dem Heftchen mit den Predigten während der Vorbereitungsexerzitien auf ihre Erstkommunion: Ich habe mir vorgenommen, mich anzustrengen, um gut zu werden und viele gute Werke zu haben, die ich dem lieben Gott vorweisen kann.
Einige Jahre später sagt sie: Ich will keine Verdienste für den Himmel anhäufen, ich will einzig um Deiner Liebe willen arbeiten, in der alleinigen Absicht, Dich zu erfreuen. Am Abend dieses Lebens werde ich mit leeren Händen vor Dir erscheinen, denn ich bitte Dich nicht, Herr, meine Werke zu zählen.
Wer liebt, schreibt nicht auf, was er für den geliebten Menschen tut. Damit wehrt sie sich gegen die Richtung des Jansenismus.
Das Leben im Kloster
Als Thérèse in den Karmel eintritt, besteht die Kommunität aus 26 Nonnen. Es sind gewisse Spannungen in der Gemeinschaft. Thérèse erklärt: Natürlich begegnet man im Karmel keinen Feinden, aber es gibt schließlich Sympathien, man fühlt sich zur einen Schwester hingezogen, während man einer anderen wegen am liebsten einen weiten Bogen machte, um die Begegnung mit ihr zu vermeiden. Nun, Jesus sagt mir, man müsse diese Schwester lieben... (SB 238).
Es ist die Zeit der Korrekturen, motiviert durch die Situation, die sie im Kloster findet.
Korrekturen zur Heiligkeit
Später, als die Vollkommenheit sich mir enthüllte, habe ich verstanden, dass man, um eine Heilige zu werden, viel leiden, stets das Vollkommenere anstreben und sich selbst vergessen muss. Ich sah ein, dass es viele Grade der Vollkommenheit gibt, und dass jede Seele frei ist, den Angeboten des Herrn zu entsprechen, wenig oder viel für Ihn zu tun, kurz, unter den Opfern, die Er verlangt, zu wählen. Da rief ich aus, wie einst in den Tagen meiner ersten Kindheit: „Mein Gott, ich wähle alles. Ich will keine halbe Heilige sein, mir bangt nicht davor, für dich zu leiden; nur eines fürchte ich, meinen Willen zu behalten; nimm ihn, denn Ich wähle alles, was du willst!“
Sie behauptet, eine Zeit nicht verstanden zu haben, was es bedeutet, eine Heilige zu sein. In diesen Zeilen unterstreicht sie: viel leiden, stets das Vollkommenere anstreben und sich selbst vergessen. Drei Schritte, die auch in dieser Form nicht immer gleichbleiben. Eines Tages wird sie die Vorrangstellung des Leidens korrigieren: Thérèse will Gott gefallen, Ihm Freude bereiten, und sie glaubt zunächst, Jesus in schwierigen und harten Momenten, im Leid, beweisen zu können, wie gern sie Ihn hat.
Uns wurde immer wieder erzählt, dass Thérèse den schlechtesten Platz wollte, dass sie nur leiden wollte; sie hätte sich das Leben schwergemacht, um anscheinend mehr Verdienste vor Gott zu sammeln; sie hätte kleine Schritte unternommen, um im Himmel hoch hinaufsteigen zu können.
Thérèse fühlt sich bei der Spiritualität, die im Konvent vermittelt wird, nicht wohl. Die Nonnen werden zu einer Art Blitzableiter für den göttlichen Zorn erzogen. Vieles wurde uns von Thérèse erzählt, doch es bezog sich auf die Thérèse, die noch am Anfang ihres Weges stand, nicht auf die Thérèse, die den barmherzigen und liebenden Gott entdeckt hatte.
Ab diesem Zeitpunkt versucht sie nämlich, dem zu entsprechen, was Gott mit ihr vorhat: wenn durch Freude, eben durch Freude, wenn durch Schwierigkeiten, dann durch Schwierigkeiten: immer in einer Haltung der Verfügbarkeit für Gottes Pläne mit ihr.
Ab dem Zeitpunkt, als sie Gottes Liebe entdeckt, wird es ihr klar: Sie sagt „ja“ zu ihrem Platz, zu ihrer Sendung, zu ihrer Aufgabe als Blume, die für den Herrn leben will. Von sich aus hätte sie vielleicht einen schlechten Platz im Garten ausgesucht, einen schlechten Boden, eine schattige Ecke...
Aber sie erkennt, dass dies nicht die Sendung einer Blume ist. Die Aufgabe einer Blume besteht ja nicht darin, zu leiden, zu verkümmern, nicht wachsen zu können. Sie besteht vielmehr darin, zu wachsen, zu blühen, mit ihrem Sosein Freude zu bereiten.
Sie entdeckt, dass es Gott am meisten freut, wenn wir Seinen Willen erfüllen. Es handelt sich hier um eine Änderung der Blickrichtung: Entscheidend ist nicht, was ich will, sondern was Er will; nicht, was in meinen Augen, sondern was vor Gott wertvoll erscheint. Eine Zeitlang hält Thérèse das Leiden für den wertvollsten Weg der Hingabe und sehnt sich deshalb auch danach. Eines Tages jedoch wird ihr klar, dass die Bejahung von Gottes Plänen mit uns wichtiger ist als das Leid. Ab diesem Zeitpunkt versucht sie nämlich, dem zu entsprechen, was Gott mit ihr vorhat: wenn durch Freude, eben durch Freude, wenn durch Schwierigkeiten, dann durch Schwierigkeiten: immer in einer Haltung der Verfügbarkeit für Gottes Pläne mit ihr. Gottes Wille soll geschehen.
Ein Schritt steht noch vor uns: der Schritt der Hingabe
Mit einem wunderschönen Text erklärt uns Thérèse, was es bedeutet, sich dem Herrn ganz zu schenken. Es wird ihr klar, dass es im Leben nicht darum geht, Gott das zu geben, was wir ihm geben wollen, sondern ihm das zu geben, was er von uns haben will.
Gott ganz zu gehören heißt nicht immer, dass Gott sich mit uns beschäftigen, an uns handeln oder uns in Frage stellen wird; sich Gott zur Verfügung zu stellen, beinhaltet genauso die Möglichkeit, dass Gott uns in einer Ecke des Zimmers liegen lässt, sich mit anderen beschäftigt, anderen größere Bedeutung beimisst und uns tage-, monatelang vergisst.
Seit einiger Zeit hatte ich mich dem Jesuskind als Sein kleines Spielzeug angeboten. Ich hatte Ihm gesagt, Es solle mich nicht wie ein kostbares Spielzeug behandeln, das die Kinder nur anschauen, weil sie nicht wagen, es anzurühren, sondern als einen kleinen Ball von keinerlei Wert, den Es auf den Boden werfen, mit dem Fuß stoßen, durchbohren, in einem Winkel liegen lassen oder an Sein Herz drücken könne, wenn es Ihm Freude mache. Mit einem Wort, ich wollte den kleinen Jesus unterhalten, Ihm Spaß machen, ich wollte mich ganz Seinen kindlichen Unberechenbarkeiten überlassen (M 139-140).
Thérèse will dem kleinen Jesus Freude bereiten und schildert dies mit dem Bild des Spielballs. Ein Wort verrät allerdings, wie wenig romantisch und wie realistisch dieser Vergleich ist: Thérèse ist sich dessen bewusst, dass ein Kind launenhaft, unberechenbar ist: Heute so, morgen so, jetzt lacht es, einige Minuten später weint es... ohne Grund, ohne Erklärung.
Sie will kein kostbares oder teures Spielzeug sein, denn damit darf man nicht spielen, es wird in Vitrinen aufbewahrt. Sie will vielmehr ein kleiner Ball für den Alltag sein, mit dem man umgehen kann, ohne Angst haben zu müssen, etwas Wertvolles kaputt zu machen.
Thérèses Wert wächst aus der Überzeugung, dem Kind Jesus zu gehören. Jede Handlung des Kindes verleiht dem Ball einen Wert: wenn es ihn
- in die Hand nimmt,
- in die Höhe wirft oder
- in einer Ecke liegen lässt.
Christus hat alles gegeben, wer Jesus nachfolgen will, soll alles geben, sich selbst geben.
Ein Aspekt des Evangeliums
Vertrauen
Zu den subtilen Problemen frommer Menschen gehört oft die Versuchung, Gott einsagen zu wollen, was Er mit uns tun soll, wie Er uns führen soll. Thérèses Haltung ist anders: Sie hat Vertrauen zu Gott – sie lässt sich auf Gott ein – sie lässt über sich verfügen.
Wie oft in ihren Schriften greift sie auch hier zu einem anschaulichen Vergleich: Eine Blume nimmt an, dass der Gärtner nicht nur etwas von seinem Beruf versteht, sondern auch weiß, wie er die einzelnen Blumen behandeln muss. Deswegen wird eine Blume sich dem Wissen und Können des Gärtners ausliefern. Welch sinnlose Vermessenheit wäre es, würde die Blume ihm misstrauen. Dieses Verhalten würde ja in der Blume Abwehrreaktionen auslösen und das Wachstum behindern. Eine ebenso sinnlose Vermessenheit wäre es aber auch, dem Gärtner einsagen zu wollen, was er mit uns machen soll.
Vertrauen können heißt auch, beweglich, verfügbar bleiben für die Schritte, die der Gärtner unternimmt; nicht immer ist es das Wasser, was die Pflanze braucht, gelegentlich ist auch die Sonne lebensnotwendig.
Jede Blume erlebt verschiedene Zeiten: Während im Frühling die Lüfte wohltuend und die Sonnenstrahlen schonend sind, ist im Winter manches zu überwinden, und sind Frostnächte auszuhalten.
Gott zerstört unsere Pflanze nicht; Er lässt sie wachsen und blühen und Er lässt sie Frucht bringen. Abwechslung gehört zum Leben: Regen, Kälte, Sturm - Wärme, milder Tau - Frühlingslüfte.
Zuversicht in Dunkelheit
Wir wissen, dass Tag und Nacht einander abwechseln; wir wissen, dass die Sonne da ist, auch wenn dichte Wolken verhindern, dass ihre Strahlen uns erreichen, wir wissen, dass eine Nacht nicht ewig ist, sondern vergeht...
Vieles wissen wir, und doch bereiten uns im Leben Nacht und Finsternis oft große Schwierigkeiten.
In den Berichten von Thérèse fehlt es nicht an Anspielungen auf Erfahrungen der Nacht. Eine Nacht, die zwar in der Gewissheit erlebt und getragen wird, dass Jesus in der Nähe ist, die aber trotzdem harte Herausforderung bedeutet - das Wissen um die Nähe Jesu gibt ihr Sicherheit: Wie immer schlummerte Jesus in meinem kleinen Boot. Oh, ich sehe gut, die Menschen lassen ihn selten ungestört in ihrer Seele schlafen. Jesus ist so müde, dass Er gern die Ruhepause benützt, die ich Ihm anbiete. Er wird wohl nicht vor meiner großen Einkehr in der Ewigkeit erwachen; aber dies betrübt mich nicht, es bereitet mit im Gegenteil höchste Freude...“ (SB 167.
Die Nähe Jesu erfüllt Thérèse mit einem derartigen Vertrauen, dass sie Jesus nicht aufzuwecken braucht. Auch ein im Boot schlafender Jesus bedeutet für sie Schutz und Zuversicht.
Im Leben verlassen wir uns auf das, was wir sehen, hören, begreifen, mit unseren Sinnen wahrnehmen. Der Glaube zwingt uns allerdings manchmal, uns auf DEN zu verlassen, den wir nicht sehen und spüren.
Ja, das Leben verlangt von uns, Gott in Situationen zu vertrauen, die wir nicht ganz (oder gar nicht) verstehen. Der Glaube will uns Hilfe sein, wenn Konflikte im Leben uns den Blick nach vorne, in die Bewältigung des Alltags verstellen.
Mir fällt auf, dass das, was bei diesen Beschreibungen dem konkreten Menschen Zuversicht und Halt gibt, nicht so sehr die Augen des Körpers sind, mit denen er Jesus sehen kann, sondern die Augen des Glaubens, mit denen er Jesus ahnt, das Wissen, dass Gott ihn bei der Hand nimmt, bei ihm bleibt und mit ihm geht ...
Diese Nächte der Angst und Skrupel weisen ihr immer mehr die Richtung zum Weg des Vertrauens und der Liebe. So kann sie auch uns Mut machen, Vertrauen zu Gott zu haben, der in keiner Situation - sei sie auch noch so beängstigend - unser Boot verlässt.
Im Leben verlassen wir uns auf das, was wir sehen, hören, begreifen, mit unseren Sinnen wahrnehmen. Der Glaube zwingt uns allerdings manchmal, uns auf DEN zu verlassen, den wir nicht sehen und nicht spüren.
Vor den Menschen bezeugt Thérèse einen starken Glauben an Gott. In ihrem Leben sehen wir, was Gott aus uns Menschen machen kann: Gott ist ja allmächtig...
Thérèse, lebt auf Gott hin orientiert und vertraut sich ihm ganz an:
in Momenten der Dunkelheit,
in der Gestaltung ihres Lebens,
in Situationen des Versagens…
Wer ist Thérèse?
In ihren Schriften finde ich das Bild, das unsere Frage beantwortet:
ein kleiner Spatz mit den Augen eines Adlers, da der kleine Vogel es erkannt hat, wächst in Thérèse die Sehnsucht, obwohl sie zu dieser Zeit keinen Weg sieht, es verwirklichen zu können. Der Spatz erlebt seine Machtlosigkeit, seine Grenzen, doch die Grenzen stören den kleinen Vogel nicht; soll er deswegen verzweifeln oder vor Verbitterung sterben?
Thérèse im Bild des kleinen Vogels ist nicht betrübt, zeigt vielmehr Gelassenheit.
Zu bewundern ist seine starke Glaubenskraft:in gewissen Situationen verbergen die Wolken die Sonne, doch der kleine Vogel lässt nicht den Mut fallen, er bleibt dabei, er glaubt an die Sonne, die er nicht sieht.
Der kleine Vogel erlebt auch Grenzen: er lässt sich manchmal ablenken, er spielt mit den Pfützen und dabei verschmutzt er sich, er wird nass, hofft aber auf die Sonne, um trocken zu werden...Trotz Grenzen weiß er sich von Gott angenommen, der gekommen ist, die Sünder zu rufen.
Sollte Gott nicht reagieren oder nicht antworten, akzeptiert es der kleine Vogel, freut sich, klein und schwach zu sein denn es soll geschehen, wie Gott will.
Das Bild des kleinen Spatzen beschreibt das Leben von Thérèse: Er weiß sich in Gottes Händen. Auf Gott angewiesen wird von ihm erwartet: Vertrauen, Ausdauer und sich beschenken zu lassen. Thérèse ist ein Mensch des Vertrauens, der eines Tages entdeckt, dass Heiligkeit nicht so sehr die Leistung des Menschen, sondern das Werk Gottes im Menschen ist.
Sie steht vor uns als Mensch, der in den monotonen und kleinen Schritten des Alltags eine Antenne für Gottes Wirken hat; sie ist weit entfernt von jenem (frommen) Zwang, Verdienste sammeln zu müssen. Sie weiß sich getragen von Gottes Liebe zu uns Menschen, und so vertraut sie ganz auf Ihn: Es ist nicht notwendig, meine guten Werke aufzuschreiben, auf Dich kann ich mich verlassen!
P. Antonio Sagardoy OCD
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