Die Kirchenlehrerin
In der fast zweitausendjährigen Geschichte der katholischen Kirche haben dreiunddreißig Heilige diesen Ehrentitel erhalten, unter ihnen die großen Kirchenväter Ambrosius, Hieronymus, Augustinus, Gregor I. und große Theologen wie Thomas von Aquin, Anselm von Canterbury und Bernhard von Clairvaux.
Erst in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts wurden auch zwei großartige Frauen in den Kreis der Kirchenlehrer aufgenommen: Teresa von Avila und Katharina von Siena. Als dreiunddreißigste und jüngste von allen kam nun die kleine heilige Theresia vom Kinde Jesus und vom Heiligen Antlitz hinzu. Das ist in mancherlei Hinsicht eine Sensation, und darum fragen sich viele: "Wie ist das möglich, da sie doch keine Theologie studiert und statt theologischer Werke nur ein paar Hefte mit ihrer Lebensbeschreibung, Briefe, Gedichte, Gebete, Theaterstücke und 'Letzte Worte' hinterlassen hat?"
In ihrer Selbstbiographie gibt Theresia uns eine Antwort auf diese Frage. Sie bekennt, dass kein theologisches Werk, sondern Jesus allein sie belehrt und in der "Wissenschaft der Liebe" unterwiesen hat. Sie versteht darunter das Wissen um die Liebe und Barmherzigkeit Gottes, die wir täglich, auch in den kleinsten Ereignissen, erfahren. Diese Erkenntnis ließ Theresia den "Kleinen Weg der Liebe" im Alltag entdecken, auf dem sie zu größter Heiligkeit gelangte. Dadurch, und nicht durch große Taten, ist sie in der ganzen Welt bekannt und ein Vorbild für unzählige Menschen geworden.
Darüber hinaus wurde Theresia durch ihr beispielhaftes Leben und ihre Lehre ein helles Licht für die Dunkelheiten unseres Jahrhunderts, wie zum Beispiel Werteverfall, Glaubensabfall, Sinn- und Orientierungslosigkeit, Drogenabhängigkeit, Gewaltverherrlichung. Schon vor hundert Jahren hat Theresia Gedanken des Zweiten Vatikanischen Konzils vorweggenommen, indem sie der biblischen und eucharistischen Bewegung den Weg bahnte und ein lebendiges Glied am Leib der Kirche sein wollte. (...) "Im Herzen der Kirche, die meine Mutter ist, werde ich die Liebe sein, so werde ich alles sein!" (Therese von Lisieux)
Die Bezeichnung Kirchenlehrer ist ein offizieller Titel, den die katholische Kirche einem Heiligen verleiht, der sich durch Rechtgläubigkeit der Lehre, Heiligkeit des Lebens oder hervorragende wissenschaftliche Leistung und ausdrückliche Anerkennung durch die Kirche auszeichnet. Die Ernennung erfolgt durch den Papst.
(vgl.: Monika-Maria Stöcker, Das Abenteuer einer großen Liebe, Therese von Lisieux (1873-1897), Ein Jugendbuch nicht nur für junge Leute, Johannes-Verlag, Leutesdorf, 1998, S. 218-219.)
Den Originaltext des Apostolischen Schreibens von Johannes Paul II. zur Proklamation der heiligen Therese vom Kinde Jesus und vom Heiligen Antlitz zur Kirchenlehrerin finden Sie hier.