top of page

 

Die Dienerin Gottes Léonie Martin - Sr. Françoise-Thérèse

 

Kindheit

Léonie Martin wurde am 3. Juni 1863 in Alençon in der Normandie als drittes Kind von Louis und Zélie Martin geboren. Schon am nächsten Tag wurde sie zur Taufe gebracht; es war gerade das Fronleichnamsfest. Léonie wurde bald krank. 16 Monate rang sie zwischen Leben und Tod; später musste sie mit Keuchhusten, Masern, Krämpfen, Herzklopfen, Darmentzündungen und einem Ekzem kämpfen, das sie ihr ganzes Leben lang begleitete und ihr zu schaffen machte. Mutter Martins Schwester Marie Dosithée war Ordensfrau in Le Mans und eine enge Vertraute von Zélie. Diese betete eine Novene zu Margareta Maria Alacoque, die damals gerade seliggesprochen worden war, und wie durch ein Wunder wurde Léonie geheilt. Léonie blieb aber schwächlich, war emotional unausgeglichen, immer wieder kränklich, schwach begabt und ihre körperliche Entfaltung ging nicht gut voran.

 

Ein Jahr nach Léonie wurde der Familie Martin Hélène geboren, ein liebes Mädchen, das gut zu Léonie passte. Aber dieses Kind starb mit sechs Jahren. Das war ein schwerer Verlust für die Familie, vor allem für Léonie, die ihre Gefährtin und Spielkameradin plötzlich verloren hatte.

Léonie erlebte so in den ersten Lebensjahren viele schmerzhafte Dinge, die tiefe Spuren in ihrer Seele hinterließen. Sie wurde ein bockiges Kind, ungehorsam, langsam im Begreifen, und als sie zur Schule ging, eine schlechte Schülerin. Einmal schrieb Mutter Zélie ihrem Bruder Isidore: „Ich schaffe es nicht, Léonie’s Charakter zu begreifen. Bei dieser Aufgabe wären auch Klügere mit ihrem Latein schnell am Ende.“ Schließlich wurde das Kind in die Klosterschule nach Le Mans geschickt in der Hoffnung, dass sie dort bei der Tante, die sie sehr schätzte, eine bessere Entwicklung durchmachen würden. Es blieb aber bei zwei Versuchen in den Jahren 1871 und 1874. Die Schwestern gaben sich viel Mühe, vor allem die Tante, aber das hatte keinen Erfolg, und sie musste sie nach Hause entlassen. Die Tante sah aber neben allen äußeren Schwierigkeiten und dem schwierigen Charakter das gute Herz von Léonie und schrieb ihres Schwester Zélie: „Für die wenige Zeit, die ich mit ihr verbrachte, hat Léonie mir wirklich gute Hoffnung gemacht, was ihre Zukunft betrifft. Gott wird auch mit rebellischen Naturen fertig. Durch die Gnade werden aus Wölfen Lämmer, und Lämmer werden furchtlos wie Löwen. Es ist nur notwendig, sich selbst zu überwinden. Das ist eine schwierige Arbeit, die aber mit Gottes Gnade zum Erfolg führt.“ Das war ein prophetisches Wort, wenn man im Rückblick das ganze Leben von Léonie sieht. Die Eltern Martin gaben Léonie in den Privatunterricht zu zwei alten Lehrerinnen, und vor allem auch die älteste Schwester Marie sorgte sich um eine gewisse Bildung ihrer dritten Schwester Léonie. In dieser Zeit der vielen Schwierigkeiten wirkte erstaunlicherweise das Vorbild der Tante ganz stark auf Léonie. Einmal sagte sie: „Wenn ich groß bin, werde ich auch eine Klosterschwester, eine Heimsuchungsschwester wie meine Tante.“ Dieser Gedanke verließ sie nie.

Jugend

Als Léonie 12 Jahre alt war, durfte sie sich auf die Erstkommunion vorbereiten. Ihre Mutter schrieb in einem Brief: „Ich bin mit Léonie zufrieden, sie tut, was sie kann, sie scheint sehr entschlossen, ihre Fehler zu überwinden.“ Dennoch blieb Léonie ein Sorgenkind; ihre Eltern kamen nicht an sie heran und spürten eine Distanz zu ihr.

Im Jahr 1876 – Léonie war 13 Jahre alt – bekam Mutter Zélie die ärztliche Diagnose „Brustkrebs im fortgeschrittenen Stadium“, ein Schlag für die Familie. Kurz nach dieser Nachricht starb im Februar 1877 die Schwester im Kloster von Le Mans. Das war ein weiterer schwerer Schlag für die Familie, vor allem für die kranke Zélie, denn Schwester Marie Dosithée war ja ihre engste Vertraute und Ratgeberin gewesen. Die Schwester nahm aber die Sorge um Léonie in die Ewigkeit mit, und das zeigt auch Wirkung. Kurz darauf entdeckte die Familie einen Grund, wieso Léonie sich so schwierig und so abweisend zeigte. Die Hausangestellte hatte Léonie lange misshandelt, weil sie glaubte, durch Gewalt dieses Kind zu erziehen und dadurch der Mutter zu helfen. In einem Brief schreibt Mutter Zélie an Pauline, die im Internat war: „Ich hätte nie gedacht, dass man so weit gehen und mit einem armen Geschöpf so hartherzig umgehen könnte. Und dieses Mädchen Louise behauptet, sie habe geglaubt, mir einen großen Dienst zu erweisen durch die Geschicklichkeit, mit der sie Deine Schwester beherrschte, mit der nach ihrer Ansicht niemand fertig werden würde. Würdest Du so etwas glauben? Aber Brutalität hat noch nie einen Menschen gebessert. Sie macht aus ihm nur einen Sklaven, und das ist an diesem armen Kind Léonie geschehen.“ Von dieser Entdeckung an zeigten die Eltern und die Geschwister ein besonderes Mitleid und eine besondere Liebe für Léonie, und Léonie begann auch, diese zu erwidern. Gerade die neue Situation gab Mutter Zélie neue Lebenskraft. Sie wusste, dass sie jetzt noch mehr für dieses Kind da sein musste und trotz ihrer schweren Krankheit die Hoffnung auf Heilung nicht aufgeben konnte. Mit ihren drei ältesten Töchtern Marie, Pauline und Léonie pilgerte sie nach Lourdes, um dort Heilung zu finden. Diese blieb jedoch aus. An ihren Bruder schrieb Zélie: „Wenn mich die heilige Jungfrau schon nicht heilt, so will ich sie bitten, dass sie wenigstens meinem Kind hilft, dass sich sein Geist öffnet und es zu einer Heiligen macht.“ Am 28. August 1877 starb Mutter Zélie nach Wochen grauenvoller Schmerzen. Sie hinterließ ihren Mann und die fünf Töchter, der wenige Wochen nach dem Tod seiner Gattin mit seinen Töchtern nach Lisieux zog. In dieser Zeit wurde Léonie ruhiger, und versuchte sich immer mehr zu öffnen. Sie zeigte jetzt ihr freundliches und zartes Herz, und Vater Martin nannte seine Tochter immer wieder einfach „meine gute Léonie“.

 

Sehnsucht nach einem gottgeweihten Leben

Im Jahr 1882 trat Pauline in den Karmel von Lisieux ein. Für Léonie war dies eine Inspiration, ihrem Kindheitstraum neu nachzuspüren. Im Jahr 1884 wurde sie Firmpatin ihrer Schwester Therese. 1886 bat Léonie unerwartet bei den Klarissen in Alençon um Aufnahme. Trotz ihres unstabilen Charakters, trotz ihrer schwachen Intelligenz und ihrer schwachen Gesundheit wollte sie die harte und strenge Lebensweise der Klarissinnen dort teilen. Aber nach nur einem Monat musste Léonie wieder nach Hause zurückkehren. Der Schritt ins Kloster gelang ihr nicht und ließ sie enttäuscht zurück.

 

Schon ein Jahr später macht sie einen weiteren Versuch, in ein Kloster einzutreten. Dieses Mal dachte sie an den Orden der Heimsuchung Mariens, den sie von ihrer Tante her gut kannte. Sie wählt nicht das Kloster in Le Mans, wo ihre Tante gelebt hatte, sondern ein anderes in Caen. Auch dort erlebte sie bald große Schwierigkeiten. Die strenge Führung in diesem Kloster machte ihr zu schaffen, ebenso der bis zu den kleinsten Dingen geregelte Tagesablauf und das Fehlen von persönlicher Zuwendung und Liebe, wie sie es in ihrer Familie erfahren hatte. Ein halbes Jahr später, im Januar 1888, gab sie diesen zweiten Versuch auf und kehrte wieder nach Hause zurück. Die Verbindung mit dem Kloster in Caen blieb.

 

Bald nach dem Eintritt Therese’s im April 1888 in den Karmel von Lisieux wurde ihr Vater Louis krank und musste im Februar 1889 in die Nervenheilanstalt in Caen eingeliefert werden. Dieses Krankenhaus war nur wenig entfernt von dem Kloster, wo Léonie ihren Eintrittsversuch gemacht hatte. Die beiden Töchter Léonie und Céline besuchen ihren Vater regelmäßig, und Léonie nützt diese Besuche in Caen immer wieder dazu, auch einen Besuch im Heimsuchungskloster zu machen. Das Haus der Familie Martin in Lisieux „Les Buissonnets“ musste aufgegeben werden. Léonie und Céline wurden bei der Familie des Onkels in die Familie aufgenommen. Nach drei Jahren kam Herr Martin an den Rollstuhl gefesselt wieder nach Lisieux zurückkehren. Céline und Léonie mieteten eine Wohnung und sorgten sich um den Vater.

 

Der Wunsch, Ordensschwester zu werden, flammte in Léonie wieder auf, und am 24. Juli 1893 unternahm sie den dritten Versuch, ein gottgeweihtes Leben zu führen. Wieder ging sie nach Caen und bat, noch einmal dort aufgenommen zu werden. Sie wurde tatsächlich als Novizin angenommen und erhielt den Namen Schwester Thérèse Dosithée. In dieser Zeit starb ihr Vater Louis und ihre Schwester Céline trat wie ihre drei anderen Schwestern in den Karmel von Lisieux ein. Alle Töchter Martin waren damit Ordensschwestern. Aber zwei Jahre später, am 20. Juli 1895, kehrte Léonie wieder nach Lisieux zurück, und musste sich eingestehen, dass sie es wieder nicht geschafft hatte.

 

Im Haus ihres Onkels waren inzwischen die beiden Kinder Jeannette und Marie ausgezogen. Léonie war die einzige, die jetzt noch bei ihrem Onkel und ihrer Tante lebte, und wurde dort wie ein Kind aufgenommen. Therese, an Tuberkulose erkrankt, ging dem Tod zu, und starb nach einer schweren Leidenszeit am 30. September 1897. Léonie durfte sie immer wieder einmal im Sprechzimmer besuchen und mit ihr sprechen. Therese glaubte an die Berufung von Léonie in die engere Nachfolge Christi und ermutigte sie, diesen Wunsch nicht loszulassen. In ihrem letzten Brief an Léonie schrieb Therese am Juli 1897: „Das einzige Glück auf der Erde besteht darin, bestrebt zu sein, stets den Anteil köstlich zu finden, den Jesus uns schenkt. Dein Anteil ist sehr schön, liebste Schwester. Wenn Du heilig sein willst, wird es Dir leichtfallen, denn im Grunde Deines Herzens ist die Welt nichts für Dich. Du kannst Dich also, wie wir, die Schwestern im Kloster, um das einzige Notwendige kümmern, das heißt, während Du Dich treu den äußeren Werken widmest, sei Dein Ziel ein einziges, Jesus Freude zu machen, Dich ihm inniger zu vereinigen.“ Oft ging Léonie an das Grab von Therese. Als die „Geschichte einer Seele“ ein Jahr nach dem Tod von Therese veröffentlicht wurde, bekam auch Léonie ein Exemplar. Sie entdeckte in dieser Schrift vieles, was sie ansprach und was ihr half, ihre eigene Situation zu verstehen und den „kleinen Weg“ zu gehen, von dem Therese gesprochen hatte.

 

Im Kloster der Heimsuchung in Caen

Und so unternahm sie am 28. Januar 1899 mit fast 35 Jahren einen weiteren Versuch, in das Heimsuchungskloster in Caen einzutreten. Sie bekam den Ordensnamen Marie Françoise Thérèse. Im Kloster hatte sich inzwischen einiges geändert. Es gab Verantwortliche, die es verstanden, auf die Situation Léonies einzugehen. Die Oberin war verständnisvoller und flexibler und gewährte Léonie auch Dispensen von der Ordensregel, wo sie etwas nicht schaffte. So konnte Léonie am 2. Juli 1900, am Fest der Heimsuchung, die Profess ablegen und ihr Leben in dieser Ordensgemeinschaft ganz Gott schenken. Sie schrieb: „Am folgenden Tag, als ich erwachte, war meine Freude so groß, dass ich in der Lage war, mein Professkreuz an mein Herz zu drücken, dieses Kreuz, das mich so viel gekostet hat.“ Im Kloster hatte Léonie verschiedene Aufgaben, aber sie war immer nur Hilfskraft. Mit einer verantwortlichen Aufgabe wäre sie überfordert gewesen; sie blieb die einfache, schlichte Schwester. Sie sagte einmal: „Ich wünsche, zu verschwinden, mich zu verbergen und als Nichts angesehen zu werden. Klein zu sein, ist mein Glück und meine Stärke.“ In ihrer Zelle durfte sie ein Bild ihrer Schwester Therese aufhängen. Léonie erfuhr tatsächlich die Gegenwart der Schwester. Daneben hatte sie eine ganz tiefe Beziehung zum Heiligen Geist.

Leonie hatte in diesen Klosterjahren viel geistige Aufarbeitungsarbeit: die Schwierigkeiten ihrer Kindheit, die ihr immer wieder in Erinnerung kamen; das Dienstmädchen, dem sie vergeben musste; die Gewissensnot, dass sie Céline und ihren kranken Vater alleingelassen hatte, als sie versuchte, ins Kloster einzutreten. Sie blieb weiterhin kränklich, und ein Gefühl begleitete sie, zu allem unnütz zu sein. Aber in all dem fand sie im „kleinen Weg“ der heiligen Therese eine Hilfe. Sie wusste, dass sie nichts Großes leisten muss, sondern dass es vor Gott auf das Kleine ankommt. Sie konnte ihre Begrenzungen immer mehr annehmen und wurde zufriedener.

Das Leben im Kloster war für Schwester Françoise Thérèse gewiss immer auch schwierig und mit vielen Leiden verbunden, aber sie hat durchgehalten. Auch äußerlich gab es einige Turbulenzen und Ereignisse: Es war die Zeit des Ersten Weltkriegs, die Zeit der Selig- und Heiligsprechung von Therese, die schwierige Zwischenkriegszeit und dann auch noch der Beginn des Zweiten Weltkriegs. All diese Ereignisse hat Léonie mit ihrem schlichten Gebet begleitet. Obwohl sie nun eine Schwester hatte, die heiliggesprochen war, blieb Léonie gerne im Hintergrund. Sie lebte eine wahre Liebe, so wie sie es von Therese gehört und gelernt hatte. Sie war gut und hilfsbereit und versah in Stille unzählige Dienste.

Heimgang

Im Dezember 1930 wurde sie schwer krank, und sie hoffte, bald sterben zu können. Jedoch besserte sich ihr Zustand noch einmal. Das letzte Lebensjahrzehnt war mit vielen Beschwerden verbunden: Krankheiten, Knieprobleme, Atemnot, Gleichgewichtsstörungen. Im Mai 1941 verschlechterte sich ihr Gesundheitszustand und am Fronleichnamstag, ihrem Tauftag, erlitt sie einen Schlaganfall. Am 17. Juni 1941 starb sie mit 78 Jahren. Über ihren Tod berichtete die Oberin den Schwestern in Lisieux: „Ja, unsere Léonie hat ihr volles Bewusstsein bis zum Ende behalten. Sie hat in ihrem mitteilsamen Wesen sehr darunter gelitten, dass sie sich nur noch durch Zeichen und durch einzelne Silben verständlich machen konnte. Sie zeigte zum Himmel, ihr Wunsch wurde immer lebendiger, sofort nach dorthin zu entfliegen. Ja, sagten wir ihr, Jesus kommt und setzt die letzte Perle in ihre Krone ein. Vereinen wir uns mit seinem Leiden am Kreuz. Darauf sammelte sie sich, schloss die Augen, während ihre Lippen ein vertrauensvolles Gebet formten. Unsere Schwestern ließen sie nicht allein, und oft erhellte ein schönes Lächeln ihre Züge, wenn sie bemerkte, dass wir zu Füßen ihres Bettes schwiegen. Ihr letzter Tag war wirklich himmlisch, unsere liebe Sterbende blieb sanft und still, ergeben, dankbar. Sie hatte erst in ihrer letzten Nacht um 9:00 Uhr abends das Bewusstsein verloren, und in dem Moment, als sie ihren letzten Seufzer ausstieß, war ihr letzter Blick, den sie uns schenkte sicher bewusst und ganz strahlend. Das war ihr Adieu, ihre Augen schlossen sich dann von selbst für die Dinge dieser Nacht.“

bottom of page