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Hinter äußerer Armut kann sich innerer Reichtum verbergen


Dass sich das Glück nicht draußen, sondern in unserem Innersten befindet, ist eine Erfahrung,

die von den großen Gestalten geistlichen Lebens immer wieder bezeugt wird. So lesen wir bei

SÖREN KIERKEGAARD: „Wenn ein Araber in der Wüste plötzlich in seinem Zelt eine Quelle

entdeckte, so dass er beständig Quellwasser im Überfluss hätte: Wie glücklich würde er sich

preisen - so auch ein Mensch, der als sinnliches Wesen beständig nach außen gekehrt ist, in der

Meinung, dass seine Glückseligkeit außer ihm liege, wenn er plötzlich nach innen gekehrt wird

und entdeckt, dass die Quelle in ihm selbst liegt, und noch um wieviel mehr, wenn er die Quelle

entdeckt, die das Gottesverhältnis ist.“

In seinen Bekenntnissen schreibt AUGUSTINUS: „Spät habe ich dich geliebt, du Schönheit, so

alt und doch so neu, spät habe ich dich geliebt. Siehe, du warst in meinem Inneren, und ich war

draußen und suchte dich dort.“

Wer diesem Glück im eigenen Inneren begegnen will, muss arm werden vor Gott. In solcher

Armut sieht Therese die dritte Tugend des ‚kleinen Weges‘. Sie beschreibt, zu welchem Glück

man gelangen kann, wenn man sie gefunden hat. Zugleich zeigt sie, zu welcher Armut man

kommen kann, wenn man das Glück in sich erlebt. Demzufolge nimmt unser Verlangen nach

äußerem Reichtum in dem Maße ab, als wir Gott und in ihm das Glück in uns gefunden haben.

Mit anderen Worten: Hinter äußerem Reichtum verbirgt sich nicht selten eine erschreckende

innere Armut, oder sagen wir besser: eine innere Trostlosigkeit.

Therese hat schon sehr bald erfahren, dass das innere Glück keineswegs in äußerem Reichtum

liegt:


„Reichtum schafft noch kein Glück ... Sehr deutlich habe ich erfahren, dass sich die

Freude nicht in den Dingen findet, die uns umgeben. Sie findet sich im Innersten der

Seele. Man kann sie genauso gut in einem Gefängnis wie in einem Palast besitzen.

Der Beweis dafür ist, dass ich im Karmel, selbst inmitten der inneren und äußeren

Prüfungen, glücklicher bin als in der Welt, wo ich von den Annehmlichkeiten des

Lebens und vor allem von den Freuden des väterlichen Hauses umgeben war“ (MsA,

65r).

„Gott schenkt in den kleinsten wie in den großen Dingen bereits in diesem Leben

denen das Hundertfache, die aus Liebe zu ihm alles verlassen (d.h. losgelassen)

haben“ (MsA, 81v).


Hier klingt an: Um zu jenem inneren Reichtum und Glück zu gelangen, muss man sich in die

Fähigkeit des Loslassens einüben, um auf vieles, letztlich auf alles verzichten zu können:


„Auf Erden soll man sich an nichts hängen, selbst nicht an die unschuldigen Dinge;

denn man muss sie in dem Augenblick entbehren, da man am wenigsten daran denkt.

Nur was ewig ist, kann uns zufriedenstellen“ (LT 421/21.2.88).

»Lösen Sie Ihr Herz von irdischen Sorgen, vor allem aber von den Geschöpfen; dann

dürfen Sie sicher sein, dass Jesus das Übrige tun wird“ (LT 241).


CÉLINE zu Therese:

„Wenn ich an all das denke, was ich noch erwerben muss!“ „Sagen Sie lieber: Was

ich noch verlieren muss! ... Jesus wird Ihre Seele in dem Maß mit Licht erfüllen, wie

Sie diese von ihren Unvollkommenheiten befreien“ (CS 25f).

„Verlassen“, „verlieren“ und „befreien“ — was bedeuten diese Worte anderes als „loslassen“?

Im Verlieren liegt unser Gewinn. Im Letzten geht es darum, sich selbst zu verlieren, dieses

selbstsüchtige und ängstlich auf sich selbst bedachte Ich:


„Ich glaube, die Arbeit Jesu während dieser Exerzitien bestand darin, mich von allem

zu lösen, was nicht er ist“ (LT 78/8.1.89).


Nur wer alles loslässt, wird leer, und Gott wird seine Scheunen füllen. Solches Loslösen meint

auch, dass man sich nicht um seine Zukunft sorgt:


„Sie sorgen sich wegen der Zukunft, als hätten Sie sie zu bestimmen. Jetzt verstehe

ich Ihre innere Unruhe ... Alle Welt sucht ... die Zukunft zu erforschen ... Allein die

‚Armen im Geiste‘ tun das nicht“ (CS 30).


Damit deutet sich ein weiterer Gesichtspunkt der Armut an: Denn wenn wir alles losgelassen

haben und so völlig arm geworden sind, können wir, wenn wir eines Tages vor Gott stehen, nur

auf unsere leeren Hände schauen. Völlig arm geworden, ist Therese in der Lage, mit

Leichtigkeit ihren Weg, den ‚kleinen Weg‘, zu gehen:


„Man empfindet einen so tiefen Frieden, wenn man vollkommen arm ist und nur

noch auf Gott bauen kann“ (DE 306f/16.8.4).

„Keine Freude ist mit jener zu vergleichen, die der wahrhaft Arme im Geiste genießt“

(MsC, 16v).

„Alles habe ich weggegeben! ... Leicht laufe ich. Ich habe nichts anderes als meinen

einzigen Reichtum: Aus Liebe leben“ (PN 17,5).


Kleinsein, Demütigsein und Armsein - das sind die Tugenden des ‚Kleinen Weges‘. Sie

kommen nicht gerade dem entgegen, was der Mensch von Natur aus erstrebt. Um so

verwunderlicher ist es, dass man gerade durch sie das tiefste Glück erfahren kann. Dieses von

Gott geschenkte Glück wird von Therese so intensiv erfahren, dass sie es nicht in Worte fassen

kann. Die irdische Sprache reicht nicht aus. Wir brauchen eine neue Sprache, die Sprache des

Himmels, wollen wir diese von Gott geschenkten Erfahrungen zum Ausdruck bringen:


„Wie soll man über Dinge sprechen, die selbst der Gedanke kaum wiedergeben kann.

Wie soll man über Tiefen sprechen, die sich in den geheimsten Abgründen der Seele

ausbreiten!“ (LT 108/18.7.90).

„Ich fühle meine Ohnmacht, mit irdischen Worten die Geheimnisse des Himmels

wiederzugeben. Wenn ich Seiten über Seiten aufgezeichnet hätte, würde ich

feststellen, dass ich noch überhaupt nicht angefangen habe ... Es gibt so viele

verschiedene Horizonte, so viele bis ins Unendliche gefächerte Schattierungen, dass

mir einzig die Palette des himmlischen Malers nach der Nacht dieses Lebens die

entsprechenden Farben liefern kann, um die Wunder zu malen, die er dem Auge

meiner Seele enthüllt“ (LT 196/13.9.96).


aus: Rudolf Stertenbrink, Die große Liebe des kleinen Senfkorns, Herder-Verlag 2000.

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