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Was soll nur aus diesem Kind werden?!

 

Léonie Martins schwieriger Weg

 

 

 

Von Klaus-Peter Vosen

Léonie Martin, die drittälteste Schwester der heiligen Thérèse, wurde am 3. Juni 1863 in der französischen Stadt Alençon geboren und am folgenden Tag – Fronleichnam – in der dortigen Kirche Saint-Pierre-de-Montsort getauft. In der Reihe der Bilder jener fünf Töchter von Zélie und Louis Martin, die das Erwachsenenalter erreichten, sticht ihr Portrait sofort hervor: In der Tat, Léonie war anders als der Rest der intelligenten, künstlerisch begabten, hübschen Martin-Mädchen.

 

Ihren heiligen Eltern bereitete sie von ihrer frühesten Lebenszeiten an große Sorge. Léonie war eine Spätentwicklerin, lernte lange nicht recht laufen und hatte schlimme Kinderkrankheiten. Ein Hautekzem belastete sie auch später noch. Im Alter von 18 Monaten wäre sie beinahe gestorben. Sie erwies sich auch als trotzig, als ruhelos, als schwierig im umfassenden Sinne. Ihre nächstjüngere Schwester Hélène, mit der sie ein ähnlich vertrautes Geschwisterpärchen bildete wie ihre beiden ältesten Schwestern, Marie und Pauline, und die beiden jüngeren Céline und Thérèse, starb 1870 im Alter von nicht ganz sechs Jahren, so dass Léonie noch zusätzlich in eine schwierige psychologische Situation geriet. Drei weitere Geschwister verlor Léonie in ihren früheren Lebensjahren. Man vermag sich die Rückwirkungen dieser schmerzlichen Ereignisse auf eine Kinderseele vorzustellen! In der Schule lernte Léonie mühsam. Zuhause hatte sie unter der Hinterhältigkeit eines Hausmädchens zu leiden, dessen Umtriebe erst mit der Zeit entlarvt wurden. Dreimal schickte man das undisziplinierte Kind aus dem Internat der Heimsuchungsschwestern in Le Mans wieder nach Hause. Zélie, die liebevolle Mutter, an der Léonie besonders hängt, stirbt, als das Mädchen 14 Jahre alt ist. Wie ihre Schwestern strebt Léonie, in einer tiefgläubigen Familie herangewachsen, der ihr katholisches Christentum alles andere als bloß ein Lippenbekenntnis ist, nach dem Ordensleben. Dreimal vereiteln gesundheitliche Nöte und Schwierigkeiten mit dem Einhalten der Klosterregeln ein längeres Verbleiben der jungen Schwester im Konvent – einmal bei den Klarissen in Alençon zweimal im Heimsuchungskloster von Caen. Erst beim vierten Versuch kann Léonie vor Anker gehen. 1899 ist sie wieder in der „Visitation“ in Caen eingetreten. Diesmal bleibt sie – bis zum ihrem Tod am 17. Juni 1941 eine gütige, liebenswerte, vorbildliche Ordensschwester.

 

Wer oder was hat Léonie Martins schwieriges Leben doch noch zum Gelingen gebracht? Dass sie ihren Platz im Orden gefunden hat, dafür war zweifellos die Fürsprache ihres Firmpatenkindes Thérèse entscheidend, die vor ihrem Tod angekündigt hat, sie werde gerade auch in diesem Anliegen am Thron der Gnade für ihre Schwester eintreten. Dass Léonie aber trotz aller entmutigenden Rückschläge im Verlauf der ersten Jahrzehnte ihres Lebens „auf der Spur“ blieb, dass sie die Kraft fand, nach allen „Stürzen“ wieder aufzustehen und mutig in die Zukunft zu gehen, verdankt sie nächst Gott der unwandelbar treuen, vergebenden, aufrichtigen Liebe ihrer Eltern Louis und Zélie, für die dieses „Schmerzenskind“ in besonderer Weise stets auch ein „Herzenskind“ war.

 

Wie Louis und Zélie unter den Schwierigkeiten Léonies gelitten haben, zeigt sich mehr als einmal in den Briefen ihrer Mutter. Als Zélie auf ihren frühen Tod zuging, belastete sie das Problem schwer, was aus diesem Kind wohl werden würde. Aber die Eltern haben dieses Kind nie aufgegeben, ausgegrenzt oder verurteilt, sondern es innig geliebt und auf alle nur mögliche Weise versucht, ihm zu helfen und es zu fördern. Zwar scheint die Bezeichnung „hinkende Ente“, die Louis Léonie beilegte, beim ersten Hören etwas deklassierend zu sein, aber eigentlich zeugt sie nur von dem großen Mitleid, das der Vater mit seiner Tochter hatte. Léonie war für die Eltern, das ergibt Zélies Korrespondenz, nie die „störende“ oder „böse“, sondern die „arme“ Léonie. Und Louis war es, der sein Kind mit offenen Armen wieder aufnahm, wenn einer von Léonies Klosterversuchen – wieder – gescheitert war. Auch die leiblichen Schwestern lehnten Léonie niemals ab. Pauline, später Mutter Agnes von Jesus, vom Vater gerne die „feine Perle“ genannt, schrieb an Louis Anfang Mai 1887: „Léonie ist auch eine Perle, in ihrem Herzen lebt so viel Güte und Demut!“ Diese familiäre Solidarität, dieses Getragensein durch Eltern und Schwestern, war es – neben der Hilfe des Himmels -, die aus einem „enfant terrible“ eine reife, liebevolle Persönlichkeit gemacht hat, welche Licht und Orientierung geben konnte. Dazu trug die vom heiligen Franz von Sales kommende Spiritualität des Heimsuchungsklosters bei, die Léonies Entwicklung gleichsam vollendete. Mochte sie im Kloster auch langsamer bei der Erledigung ihrer Arbeiten sein als andere Schwestern, mochte ihre Gesundheit auch immer zerbrechlich bleiben – von Léonies Leben geht ein echtes Leuchten aus.

 

An ihrem Grab begann bald nach ihrem Tod eine regelrechte Verehrung, dort stellte man Kerzen auf; für Léonie, nicht für ihre begabteren und hübscheren Schwestern, - außer natürlich für Thérèse -, hat man vor einigen Jahren den Seligsprechungsprozess eröffnet.

 

Für Eltern und Großeltern, die in Sorge sind um kranke, erziehungsschwierige, lernschwache, in Versuchung stehende Kinder und Enkel, die sich nichts anderes mehr wünschen, als dass das Leben ihrer Kinder positiv verlaufe, dass sie gesunde, aufrechte, charakterstarke christliche Persönlichkeiten werden, ist Léonie Martin ein Hoffnungszeichen geworden, ebenso für Kinder, die es im Leben nicht leicht haben. Léonie ruft ihnen zu: Habt Mut, schaut auf mich und kommt mit euren Bitten. Aus schwierigen Anfängen und Situationen kann mit Gottes Gnade Großes werden! Was zu scheitern droht – Gottes Kraft bringt es zum Gelingen!

 

 

Seligsprechungsprozess

 

Am 18. Dezember 2014 hat der zuständige Bischof von Bayeux-Lisieux, Msgr. Boulanger, für Léonie Martin, die übrigens im Gedenken an ihre heilige Schwester Thérèse den Ordensnamen Sr. Franziska-Theresia trug, die Aufnahme des Seligsprechungsprozesses angekündigt.

 

Nachdem das „Nihil obstat“ hierzu am 22. Januar 2015 erteilt wurde, darf Léonie als „Dienerin Gottes“ bezeichnet werden.

 

Am 24. Januar 2015, dem Gedenktag des heiligen Franz von Sales, hat Bischof Boulanger in feierlicher Form sein Einverständnis zur Aufnahme des Seligsprechungsprozesses verkündigt. Am 25. April 2015 wurde ihr Grab geöffnet und man stellte fest, dass ihr Leichnam noch sehr gut erhalten war.

 

Am 2. Juli 2015 begann dann der örtliche, diözesane Seligsprechungsprozess zur Sammlung der Léonie betreffenden Dokumente und Zeugenaussagen. Postulator des Prozesses war der italienische Pater Antonio Sangalli aus dem Karmeliterorden, der schon für die Causa ihrer Eltern arbeitete. Am 22. Februar 2020 wurde dieser Prozess feierlich abgeschlossen. Am 10. März wurden die Dokumente (24 Kartons mit 144 Ordner) von Bischof Boulanger und dem Postulator in der Kongregation für die Selig- und Heiligsprechungen in Rom eingereicht.

Aus der eingereichten Dokumentation muss nun eine zusammenfassende „Positio“ erstellt werden, die das Leben von Léonie Martin darstellt und aufzeigt, dass sie in außerordentlicher Weise die christlichen Tugenden verwirklicht hat. Diese Positio wird dann von verschiedenen Konsultoren geprüft. Wenn die römische Untersuchung positiv ausfällt und der Papst den „heroischen Tugendgrad“ bestätigt, wird Léonie als „verehrungswürdig“ erklärt. Zur Seligsprechung braucht es dann noch eine Wunder, das auf die Fürsprache Léonies geschehen muss. Eine Ärztekommission muss das Wunder untersuchen und feststellen, dass die erfolgte Heilung nach dem jetzigen Stand der Wissenschaft unerklärlich ist.

 

Léonies sterbliche Überreste ruhen in der Kapelle des Heimsuchungsklosters in Caen.

 

An dieses Kloster mögen auch Berichte über Gebetserhörungen auf Léonies Fürsprache gerichtet werden:

Monastère de la Visitation

3, rue de l’Abbatiale

F-14000 Caen

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