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Das marianische Leben der hl. Therese


von Pater MM. Philipon OP

(aus: „Revue du Rosaire“, erschienen in „Journal de la Grotte“ von Lourdes)


Die Verehrung der seligen Jungfrau nimmt im Leben der kleinen heiligen Therese einen Platz ersten Ranges ein. Therese war im tiefsten Sinne des Wortes eine marianische Seele. Im Angesicht des Geheimnisses Mariens reagieren die großen Diener Gottes mit ihrem Temperament in Gefühlen kindlicher Frömmigkeit, oder man findet bei ihnen die fundamentalsten Elemente ihres Innenlebens. Nicht eine einzige Seele gibt es, welche nicht ihre eigene Art kennt, sich der Marienliebe zu widmen. Bei manchen wird diese Andacht zum Lebensprinzip. Nehmen wir die bekannte Formel des heiligen Paulus, so können sie nicht nur sagen: „Mein Leben ist Christus!“, sondern auch: „Mein Leben ist Maria!“ Es besteht ein großer Unterschied zwischen einer selbst treuen Erfüllung einer Menge von Gebeten und Praktiken der Andacht zur seligen Jungfrau und einem Leben von marianischer Innigkeit, einer geistigen Kommunion aller Augenblicke im Geheimnis Mariens.


Die Jungfrau vom Lächeln


Als Kind und Halbwaise wählte Therese Maria zur Mutter. Diese Geste kennzeichnet den ganzen Sinn ihrer Marienverehrung. Man begegnet bei ihr nicht langen Seiten von Erhebungen über die Größen der Gottesmutter oder über ihre Mittlerwirksamkeit in den Seelen. Therese geht zu Maria, wie ein ganz kleines Kind zu seiner Mutter eilt. Wie sie ganz familiär sagte: „Papa, der liebe Gott!“, gab sie der heiligen Jungfrau den Namen „Mama“, welcher ihr noch zarter erschien als jener der „Mutter“. Bei ihr war die Marienverehrung nichts als eine praktische Folge ihres Weges der geistigen Kindheit. Man findet auf der marianischen Ebene dieselben Gefühle kindlicher Liebe wieder, Gefühle des Bewusstseins ihrer Schwäche, der Einfachheit, des Vertrauens und der totalen Hingabe.

Die kleinsten Einzelheiten ihres täglichen Lebens verhelfen ihr zu dieser Innigkeit, welche mit dem Leben nur wächst. In ihrer Kindheit hat sie vor einem kleinen, selbst errichteten Altar gebetet. Sie liebte es, die Bilder der seligen Jungfrau mit Girlanden und Blumenkronen zu schmücken. Wir lesen in der Geschichte einer Seele: „Es war im Mai 1878. Da ich zu klein war, um in die Maiandacht zu gehen, blieb ich bei Victoire und hielt mit ihr meine Andacht vor meinem eigenen Maienaltärchen, das ich nach meinem Geschmack hergerichtet hatte. Alles war so winzig, Leuchter und Blumentöpfe, dass zwei Wachszündhölzchen hinreichten, es zu beleuchten.“

„Kurz nachdem ich zur Beichte ging: Ich erinnere mich, dass der erste Zuspruch, den ich erhielt, mich besonders zur Verehrung der Muttergottes aufforderte, und ich nahm mir vor, sie doppelt zärtlich zu lieben.“

Aber das Ereignis, das einen bestimmenden Fortschritt in ihrer kindlichen Frömmigkeit bedeuten wird und ihr für den Rest des Lebens ein Vertrauen ohne Grenze gegenüber ihrer Himmelsmutter geben wird, war ihre wunderbare Heilung im Alter von 10 Jahren. „Die Krankheit, die mich erfasst hatte, kam sicher von der Eifersucht Satans. Ich weiß nicht, wie man ein so seltsames Übel beschreiben kann. Es ist nicht verwunderlich, dass ich fürchtete, krank geschienen zu haben, ohne es wirklich zu sein, denn ich sagte und tat Dinge, die ich gar nicht dachte, fast ständig schien ich in einem Wahn befangen und sagte Worte, die keinen Sinn hatten, und doch bin ich sicher, dass ich keinen einzigen Augenblick des Gebrauchs meiner Vernunft beraubt war...“

Aber wenn Gott dem Dämon es erlaubte, äußerlich zu handeln, so wachte seine Allmacht. Er bereitete der Welt eine große Heilige vor durch die wunderbare Intervention Mariens.

„Eines Tages sah ich Papa in Maries Zimmer treten, in dem ich lag, mit einem tieftraurigen Ausdruck gab er ihr mehrere Goldstücke und bat sie, nach Paris zu schreiben, damit man in Unserer Lieben Frau vom Siege Messen lese für die Heilung seines armen Töchterchens. Oh! wie war ich bewegt, als ich den Glauben und die Liebe meines geliebten Königs sah! Wie gern hätte ich ihm sagen wollen, ich sei geheilt, aber ich hatte ihm schon genug trügerische Freuden bereitet, nicht meine Wünsche konnten ein Wunder bewirken, denn ein solches war nötig, um mich zu heilen. Ein Wunder war nötig, und Unsere Liebe Frau vom Siege hat es gewirkt. Eines Sonntags (innerhalb der Messnovene) ging Marie in den Garten und ließ mich mit Léonie zurück, die am Fenster las, nach einigen Minuten begann ich fast ganz leise: «Mama... Mama» zu rufen. Léonie, daran gewöhnt, mich immer in dieser Weise rufen zu hören, achtete nicht auf mich. Das dauerte eine ganze Weile. Nun rief ich lauter, und endlich kam Marie zurück, ich sah sie deutlich eintreten, aber ich konnte nicht sagen, dass ich sie erkannte, und fuhr fort, immer lauter zu rufen: «Mama...». Ich litt sehr unter diesem zwangshaften und unerklärlichen Kampf, und Marie litt dabei vielleicht noch mehr als ich. Nach vergeblichen Versuchen, mir deutlich zu machen, dass sie bei mir sei, kniete sie mit Léonie und Céline neben mein Bett nieder, wandte sich dann zur Muttergottes und flehte sie mit der Inbrunst einer Mutter an, die um das Leben ihres Kindes bittet. Marie erhielt, was sie begehrte... Da sie auf Erden keinerlei Hilfe fand, hatte sich auch die arme kleine Therese ihrer himmlischen Mutter zugewandt und bat sie von ganzem Herzen, sich doch endlich ihrer zu erbarmen... Plötzlich erschien mir die Muttergottes schön, so schön, dass ich nie Schöneres gesehen hatte, ihr Antlitz atmete unaussprechliche Güte und Zärtlichkeit; was mir aber bis ins Innerste der Seele drang, das war das «bezaubernde Lächeln der seligsten Jungfrau». Da zerstoben alle meine Leiden, zwei dicke Tränen entquollen meinen Augen und rollten lautlos über meine Wangen; aber es waren Tränen ungetrübter Freude... Oh! dachte ich, die Seligste Jungfrau hat mir zugelächelt, was bin ich glücklich...» aber nie will ich es jemandem erzählen, denn sonst würde mein Glück verschwinden. Ohne jede Anstrengung senkte ich die Augen und sah Marie, die mich mit Liebe anblickte; sie schien bewegt, schien etwas von der Gnade zu ahnen, die mir die Muttergottes gewährt hatte... Ja, ihr, ihren ergreifenden Gebeten verdankte ich die Gnade des Lächelns der Himmelskönigin.

Bei ihrem ersten Besuch im Karmel bedrängte man sie mit Fragen über das Wunder ihrer Heilung. Therese konnte nur eines zur Antwort geben: „Die selige Jungfrau schien mir sehr schön. Ich sah sie auf mich zukommen und mir zulächeln.“ Im Augenblick der himmlischen Vision erschien das Antlitz Thereses durchsichtig und verklärt, geprägt von einem solch übernatürlichen Ausdruck, dass die Zeugen dieser Szene von Staunen und Bewunderung ergriffen wurden. Für sie gab es keinen Zweifel, dass die selige Jungfrau ihr in der Ekstase erschienen war. Einige Jahre später beim Antritt ihrer Reise nach Italien im Heiligtum unserer Lieben Frau vom Siege in Paris erhielt sie selbst im Inneren die Bestätigung dieses Wunders von Maria. „Dort sagte mir meine Mutter, die Jungfrau Maria, klar, dass sie es war, die mir zugelächelt und mich geheilt hatte.“


„Ich habe erfahren, dass ich ihr Kind war.“


Warum soll man nicht mit den Zeugen des Seligsprechungsprozesses unterstreichen, dass eine solch wunderbare Gnade in ihrer Seele einen neuen, noch kindlichern Schwung in ihrer Verehrung der seligen Jungfrau bewirkte. Sie war es, zu der sie in allen Nöten der Kindheit die Zuflucht nahm. Wie alle jungfräulichen Seelen vertraute sie Maria den Schutz ihrer Reinheit an. Sie bewies nicht nur wie alle jungen christlichen Mädchen eine große Freude, dass sie bestimmt wurde, den öffentlichen Weiheakt an die selige Jungfrau am Tage ihrer ersten heiligen Kommunion vorzulesen und sich in die Kongregation der Kinder Mariens einschreiben zu lassen, jeden Tag getreu das „Gedenke“ und ihren Rosenkranz zu beten, sondern dies bedeutete für sie das ganze innige Leben: Freuden, Traurigkeiten, Hoffnungen, die sie alle ihrer himmlischen Mutter anvertraute.

„Noch zu Füßen unserer Frau vom Siege in Paris sah sie, wie alle inneren Qualen weichen.“ Sie selbst machte darüber das Geständnis mit solchem Nachdruck, dass es keine Täuschung zulässt: „Ah, was ich zu ihren Füßen gespürt, kann ich nicht aussprechen. Ich habe es erkannt, dass sie über mich wacht, dass ich ihr Kind bin.“

Im Karmel und je mehr sie sich dem Lebensende naht, wird ihre Andacht zur himmlischen Mutter zusehends inniger. „Der seligen Jungfrau verberge ich nichts, ihr sage ich alles!“ Therese war glücklich, ihre Profess am 8. September abzulegen: „Die Geburt Mariens! Welch schönes Fest, eine Braut Jesu zu werden!“

Ihre heilige Kommunion bereitet sie in Vereinigung mit der seligen Jungfrau vor, indem sie sie bat, sie mit ihren Tugenden zu bekleiden und sie selbst ihrem göttlichen Sohn vorzustellen. Sie vollendete mit ihr ihre Danksagungen.

Als Novizenmeisterin erfüllte Therese ihre Aufgabe in dauernder Verbindung mit Maria. Einer Novizin, die überrascht war, weil sie fühlte, dass Therese ihre inneren Gedanken kannte, antwortete sie: „Siehe, mein Geheimnis! Ich schenke Euch niemals Beachtung, ohne die selige Jungfrau anzurufen, und ich bitte sie, mir einzugeben, was ich Euch am besten tun soll.“ „Ich habe Zuflucht genommen zum Gebet!“ … „Ich werfe einen inneren Blick auf die selige Jungfrau, und Jesus triumphiert immer.“

Eine Novizin bezeugt: „Wenn ich in der geistlichen Begleitung mit ihr ging und es mir schwerfiel, gewisse Sachen zu sagen, dann führte sie mich vor die Statue, die ihr in ihrer Kindheit zugelächelt hatte – und welche sie in der Nähe ihrer Zelle aufstellen ließ – und sagte mir: ‚Nicht ich bin es, dem Ihr sagen werdet, was Euch schwerfällt, sondern der seligen Jungfrau.‘ Ich ließ mich bewegen, sie hörte mein vertrauliches Gespräch an, dann ließ sie mich die Hand Mariens küssen, gab mir Ratschläge, und der Friede kehrte wieder in meine Seele zurück!“

Als Therese am 8. Juli 1897 in die Krankenabteilung eintrat, wünschte sie, dass man in ihrer Nähe die Statue der „Jungfrau vom Lächeln“ aufstellte. „Du, die Du kamst, mir zuzulächeln am Morgen meines Lebens, komm, mir noch zuzulächeln, Mutter, auch am Abend!“

Bald kam die Stunde der höchsten Vollendung. Therese, welche dies fühlte, konnte nicht ohne Rührung jene betrachten, welche ihr „am Morgen ihres Lebens“ zugelächelt hatte. „Ich kann die selige Jungfrau nicht anschauen, ohne zu weinen.“ Zwischen der Mutter und dem Kind gibt es kein Geheimnis mehr. „Während ihrer letzten Krankheit hörte sie nicht auf, von der seligen Jungfrau zu sprechen.“ Mit vertrauender Hingabe klagt sie ihr ihre Schmerzen, bat sie um Kraft, alles ertragen zu können und drückt ihr ihre letzte Hoffnung aus: „Ich bitte sehr oft die selige Jungfrau, dem lieben Gott zu sagen, dass er sich nicht mit mir Zwang antun soll. Sie führt alle meine Aufträge aus.“

„Wenn man die Muttergottes gebeten hat, und sie uns nicht erhört hat, muss man sie machen lassen, ohne darauf zu bestehen, und man soll sich nicht mehr beunruhigen.“

„Ich habe viel, viel gelitten, aber der seligen Jungfrau habe ich es geklagt.“ „Meine gute selige Jungfrau, ich möchte davongehen!“

„Dennoch wünsche ich sehr, einen guten Tod zu haben. … Ich habe darum die selige Jungfrau gebeten. Die selige Jungfrau bitten, das ist nicht dasselbe, wie den lieben Gott bitten. Sie weiß sehr wohl, was sie zu machen hat mit meinen kleinen Wünschen, ob es nötig ist, sie zu sagen oder nicht … Endlich steht es ihr zu, darauf zu achten, den lieben Gott nicht zu zwingen, mich zu erhören, ihn gewähren zu lassen seinen Willen in allem!“

Am 9. September 1897 bat sie, das Bild unserer Lieben Frau vom Siege wiederzusehen, und sie schrieb in Versen mit zitternder Hand „O Maria, wenn ich die Königin des Himmels wäre und du Therese, dann wollte ich Therese sein, damit du die Himmelskönigin seist.“ Das waren die letzten Zeilen, die sie geschrieben hat.

Am Tag ihres Todes im Laufe ihrer Agonie hörte man sie flüstern: „O meine gute selige Jungfrau, komm mir zu Hilfe!“ Dann, gegen drei Uhr nachmittags legte sie ihre Arme in Kreuzform, die Mutter Priorin hatte auf ihre Knie ein Bild unserer Lieben Frau vom Berge Karmel gelegt. Therese haftete ihren Blick darauf: „O meine Mutter (Priorin), stelle mich ganz rasch der seligen Jungfrau vor, bereite mich vor auf einen guten Tod!“ Einige Augenblicke später lächelte ihr die selige Jungfrau im Himmel zu!

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