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Kinder sind wahre Lehrmeister


Predigt von Weihbischof Herwig Gössl zum Festgottesdienst anlässlich des Besuchs der Reliquien der hl. Therese

von Lisieux am 21. Mai in der Gebetsstätte Heroldsbach


Wir stehen unmittelbar vor den Bitt-Tagen.

Bitten – das ist etwas, was erwachsenen Menschen oftmals sehr schwer fällt. Manche

bekommen kaum eineBitte über die Lippen. So stark ist unser Wunsch nach Selbständigkeit und Autonomie. Wer bittet, der macht sich schwach, der zeigt einem anderen, dass er bedürftig ist, dass er die Hilfe oder zumindest die Unterstützung des anderen braucht. Bittsteller – das ist niemand gern. Ganz anders die Kinder. Sie können bitten. Sie wissen, dass sie nur durch Bitten etwas erreichen. Sie wissen um ihre Schwäche und um ihre Abhängigkeit von den Eltern. Aber sie wissen auch, dass sie durch Bande der Liebe mit den Eltern verbunden sind, und dass darum ihre Bitte nicht ins Leere läuft, sondern – normalerweise – auf ein liebendes Herz trifft. Kinder sind wahre Lehrmeister, wenn es um das Bitten geht.


Die hl. Therese von Lisieux, deren Reliquienschrein wir heute in unserer Mitte haben, sie hat

dieses kindliche Vertrauen Gott gegenüber mit tiefster Überzeugung gelebt. Es ist geradezu

ihr Markenzeichengeworden und kommt auch darin zum Ausdruck, dass man sie die „kleine

hl. Therese“ nennt. Therese wusste um ihre Kleinheit, um ihre Schwäche, um ihre Ohnmacht, aber sie erkannte auch, dass sie gerade so direkten Zugang hat zum Herzen Gottes, von dem sie sich geliebt wusste und densie wiederliebte. Auf kurzem Weg, auf dem Weg des kindlichen Vertrauens,gelangte sie direkt zum Herzen Gottes, des himmlischen Vaters. Diesen kleinen Weg zur Heiligkeit lehrt uns die kleine, hl. Therese. Es ist ein Weg, der wie für unsere Zeit gemacht ist. Wir waren und sind gewohnt, dass alles in unserem Leben immer besser, größer, schneller und erfolgreicher wird, und zwar durch unsere eigenen Fähigkeiten in Wissenschaft und Technik; und wir müssen gerade sehr schmerzhaft

lernen, dass unser Wachstum invielen Bereichen unseres Lebens an die Grenzen kommt. Wir müssenlernen, vom hohen Rossder Selbstverliebtheit und der vermeintlichen Unabhängigkeit herabzusteigen. Wir müssen bescheidener und einfacher leben lernen und uns bewusstwerden, dass wir nicht völligautonom undunabhängig voneinander auf dieser Welt leben. Wir brauchen einander und tragen Verantwortung füreinander, auf dieser ganzen Erde und quer durch die Generationen. Wir alle sind zuerst und vor allem Kinder unseres gemeinsamen himmlischen Vaters. Ihm verdanken wir alles und ihm können wir unsere Bitten anvertrauen. Es kommt also nicht auf unsere großartigen Leistungen an, sondern einzig und allein auf unser Vertrauen zu Gott und auf unser liebevolles Verhalten den Mitmenschen gegenüber.


Therese v. Lisieux kleidet diesekindliche Lebenshaltung in das Bild vom Blumen streuen. In ihren autobiographischen Schriften schreibt sie hierzu: „Ich habe kein anderes Mittel, dir (Gott) meine Liebe zu beweisen, als Blumen zu streuen, das heißt, ich will mirkein einziges kleines Opfer entgehen lassen, keinen Blick, kein Wort, will die geringfügigsten Handlungen benutzen und sie aus Liebe tun.“

Blumen streuen ist ein typisch kindlicher Ausdruck der Zuneigung. Erwachsene lächeln vielleicht darüber, weil das sogering und dürftig erscheint, aber für Therese ist klar, dass es auch auf die kleinen Gesten der Liebeankommt, und zwar gerade gegenüber den Mitmenschen. Wohl jeder von uns kennt Menschen, die einem das Leben schwer machen, die sich abweisend verhalten,die man einfach nicht mag. Auch Therese hatte solche Mitschwestern in ihrem Konvent. Aber gerade diese Mitschwestern haben später bezeugt, dass Therese besonders liebevoll mit ihnen umgegangen ist, immer freundlich war und sie anlächelte. Diese kleinen Gesten der Liebe, das waren – im übertragenen Sinn – die Rosen,

die Therese streute und mit denen sie Freude bereitete.


„Wenn ihr nicht umkehrt und wie die Kinder werdet, könnt ihr nicht in das Himmelreich kommen.“ Diese Worte des Herrn im heutigen Evangelium müssen uns zu Herzen gehen. Wie sehr geht es bei uns, auch in der Kirche, um Machtpositionen und Privilegien; und wie oft ist der Umgang miteinander gehässig und abwertend. Ein langjähriger Politiker, der auch kirchlich höchst engagiert war, erzählte mireinmal, dass er im Bereich der Politik viel Streit und Auseinandersetzung erlebt hat, aber nie eine so persönlich verletzende und feindselige Art wie in den kirchlichen Gremien. So etwas muss uns zu denken geben, und zwar uns allen. Umkehr ist angesagt und Orientierung an den Kindern.Blumen streuendurch kleine Gesten der Zuwendung und Freundlichkeit. So wird dem Frieden im Kleinen eine Brücke gebaut. Wo Kirche lebt, muss dieser Geist der Kindschaft herrschen.


Doch bei aller Bescheidenheit war Therese zugleich felsenfest davon überzeugt, dass sie nach ihrem Tod in Gottes Frieden eingehen darf; nicht weil sie sich für vollkommener hielt als andere, sondern weil der himmlische Vater seine kleine Tochter sicher nicht zurückweisen wird. Doch wenn sie bei Gott ist – so sagte sie – dann will sie weiterhin Gutes tun für die Menschen auf Erden, dann will sie auf die Erde Rosen regnen lassen.


Liebe Schwestern und Brüder, wenn wir die Reliquien von Heiligen verehren, dann nicht wie tote Fetische, sondern als Hinweiszeichen auf diese Person, die wirklich unter uns gelebt hat und die wir nun in Gottes Herrlichkeit geborgen wissen. Wie wir uns am Grab eines lieben Menschen diesem

besonders nahe fühlen, so auch durch die Reliquien einem Heiligen. Wir vertrauen darauf,

dass wir durch die Fürsprache der Heiligen direkten Zugang haben zum Herzen Gottes, des

Vaters. Wir dürfen sicher sein, dass Therese ihr Versprechen wahrmachtund vom Himmel

aus Gutes tut. Und wir dürfen von ihr lernen, mit kindlichem Vertrauen zu bitten und mit

kindlichem Eifer kleine Gesten der Liebe zu tun. Amen.

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