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Wir haben ein Kind verloren…

Zélie und Louis Martin als Fürsprecher und Vorbilder für betroffene Eltern



Ein Kind zu verlieren, das gehört zu den schmerzhaftesten Erfahrungen, die Eltern machen können. Der Tod eines Kindes zeigt die Gebrechlichkeit und Verletzlichkeit der menschlichen Natur. Wenn die Kindersterblichkeit heute im Gegensatz zu früheren Zeiten geringer geworden ist, gibt es leider auch heute noch eine ganze Reihe von Eltern, die den Verlust eines Kindes – sei es in der Schwangerschaft, sei es bei oder nach der Geburt, sei es später – hinnehmen müssen.


Die heiligen Eltern Louis und Zélie Martin haben vier Kinder verloren. Nach der Geburt der ersten vier Töchter – Marie, Pauline, Léonie und Hélène – konnte Zélie die weiteren Kinder nicht mehr selbst stillen. Es war das erste Anzeichen ihrer späteren Brustkrebserkrankung. Darum musste das Ehepaar eine Amme suchen. In Semallé, einem Ort, der acht Kilometer von Alençon entfernten ist, fanden sie Rose Taillé, die zu dieser Aufgabe bereit war und sich liebevoll um die Säuglinge kümmerte. Trotz der guten Sorgen dieser Amme konnten nicht alle Kinder gerettet werden. So starb am 14. Februar 1867, fünf Monate nach seiner Geburt, der erste Sohn der Familie, Joseph, am an einer Darmerkrankung. Im Dezember desselben Jahres wurde der Familie ein weiterer Junge geboren. Aber auch er starb bereits nach acht Monaten am 24. August 1868. Ein Brief Zélies, den sie am Vortag an ihren Bruder Isidore schrieb, zeugt vom Ringen um dieses Kind: „Ich glaube, wir werden auch noch das Unglück haben, den kleinen Joseph zu verlieren, er liegt in den letzten Zügen. Louis versicherte mir heute Morgen, dass es eines Wunders bedürfte, um ihn zu retten, und alle sagen mir dasselbe. Seit Dienstag geht es ihm viel schlechter. […] Ich ging zu zwei Ärzten; der eine hat mir nichts verschrieben, der andere nicht viel. Ich glaube, sie haben keine Hoffnung, ihn retten zu können. Ich bin wirklich trostlos und habe nicht einmal mehr die Kraft, ihn zu umsorgen. Es zerreißt einem das Herz, ein schwaches Wesen so viel leiden zu sehen. Sein Schreien ist nur ein Wimmern. Seit 48 Stunden hat er kein Auge zugetan. Er krümmt sich vor Schmerzen. Wenn Du diesen Brief bekommst, ist er wahrscheinlich schon gestorben.“ Und tatsächlich muss Zélie ihm schon am nächsten Tag schreiben: „Mein lieber Isidore, mein lieber kleiner Joseph ist heute Morgen um sieben Uhr gestorben. Nur ich war bei ihm. Er hat eine Nacht grausamer Qualen durchgemacht, ich bat unter Tränen um seine Erlösung. Es war mir leichter ums Herz, als ich sah, wie er sein Leben aushauchte.“


Zehn Tage später starb Zélies Vater, der im selben Haus wohnte, und den Zélie trotz seines schroffen Charakters liebevoll bis zum Tod umsorgte. Die Worte, die sie ihrer Schwägerin schreibt, geben das innere Leid preis, das Zélie und wohl auch Louis nach diesen Todesfällen zu tragen hatten: „Am Samstag suchte ich überall meinen Vater; es schien mir, als müsste ich ihn finden. Ich konnte mir nicht vorstellen, für immer von ihm getrennt zu sein. Gestern ging ich zum Friedhof, und wer mich gesehen hat, hätte sagen können, ich sei die gleichgültigste Person der Welt. Ich kniete an seinem Grab und konnte nicht beten. Einige Schritte weiter kniete ich nieder am Grab meiner zwei kleinen Engel: dieselbe scheinbare Gleichgültigkeit… Ich ging einen Weg, den ich vor fünf Wochen mit meinem kleinen Kind und meinem Vater gegangen war; ich kann Dir nicht sagen, was ich dabei alles empfunden habe. Ich achtete auf nichts, was um mich herum geschah; ich betrachtete die Plätze, wo mein Vater sich hingesetzt hatte. Ich blieb dort stehen, fast ohne etwas zu denken. In meinem ganzen Leben hatte ich noch nie eine derartige Traurigkeit empfunden. Als ich nach Hause kam, konnte ich nichts essen; es schien mir, gleich, welches Unglück mich auch träfe, es würde mich jetzt gefühllos lassen.“ Das tiefe seelische Leid hatte auch körperliche Folgen: Zélie litt an Kopf- und Zahnschmerzen, an Schlaflosigkeit und an Depressionen.


Zwei Jahre später stirbt recht unerwartet Hélène im Alter von fünf Jahren. In einigen Briefen Zélies findet dieses tragische Ereignis Widerhall: „Ich war auf dieses jähe Ende nicht gefasst, auch mein Mann nicht. Als er heimkam und seine arme kleine Helene tot erblickte, fing er an zu schluchzen und rief: ‚Meine kleine Hélène, meine kleine Hélène!‘ Dann haben wir sie gemeinsam dem lieben Gott aufgeopfert.“ „Vor der Beerdigung verbrachte ich die Nacht neben der armen lieben Kleinen. Tot war sie noch schöner als lebend. Ich selbst kleidete sie an und legte sie in den Sarg. Mir war dabei, als würde ich sterben; aber ich wollte nicht, dass andere sie berühren. Beim Requiem war die Kirche voll. Ihr Grab befindet sich neben dem ihres Opas.“ „Ich versichere Dir, dass ich kaum noch am Leben hänge. Seit ich dieses Kind verloren habe, habe ich den sehnlichen Wunsch, es wiederzusehen. Allerdings brauchen mich die Zurückbleibenden, und ihretwillen bitte ich den lieben Gott, mich noch ein paar Jahre auf Erden zu lassen.“ Zélie litt zudem auch noch unter Schuldgefühlen, weil sie meinte, in der Krankheit des Kindes eventuell falsch gehandelt zu haben.


1870 wird dem Ehepaar Martin ein weiteres Kind geschenkt. Sie nennen es Marie-Mélanie-Thérèse. Auch dieses Kind stirbt nur wenige Wochen nach der Geburt. Wieder berichtet Zélie: „Ihr Todeskampf begann heute Morgen um halb elf; man kann sich nicht vorstellen, wie sehr sie gelitten hat. Ich bin untröstlich; ich liebte dieses Kind so sehr. Bei jedem neuen Trauerfall ist es mir, als würde ich das Kind, das ich verliere, mehr lieben als die anderen. Dieses Kind war lieb wie eine Blume, zudem wurde es nur von mir versorgt. Oh, ich möchte auch sterben! Seit zwei Tagen bin ich völlig erschöpft. Ich habe so gut wie nichts gegessen, ich war die ganze Nacht auf den Beinen, in Todesängsten.“


Als zwei weitere Kinder geboren wurden, Celine und zuletzt Therese, hatten die Eltern verständlicherweise große Angst, auch diese Kinder zu verlieren. Es kam aber Gott sei Dank nicht so.


Was gab dem Ehepaar Martin Halt in diesen an die Grenzen des Erträglichen gehenden Situationen? Es war vor allem ihr tiefer Glaube und ihr Gottvertrauen. An ihre Schwägerin schrieb Zélie: „Du siehst also, liebe Schwägerin, es gibt Leid für alle. Bei all dem ist es am klügsten und am einfachsten, sich Gottes Willen zu überlassen und sich im Voraus darauf vorzubereiten, das Kreuz so tapfer wie möglich zu tragen.“ […] „Eine Freundin sagte zu mir: ‚Der liebe Gott hat gesehen, dass Sie nie damit zurechtgekommen wären, so viele Kinder großzuziehen; deshalb hat er vier von ihnen bereits in sein Paradies aufgenommen.‘ Ich selbst sehe die Sache nicht so. Denn: Gott ist der Herr, und er brauchte mich nicht um meine Erlaubnis zu bitten. Andererseits habe ich bisher alle Mühsale der Mutterschaft sehr gut ertragen, indem ich mich seiner Vorsehung überlassen habe.“


Eine andere Kraftquelle war für sie die Überzeugung, dass ihre Kinder nicht tot, sondern bei Gott sind. Die Eltern erhielten dafür sogar einen „Beweis“. Als Hélène an einer gefährlichen Ohrenkrankheit litt, baten Zélie und Louis den kurz vorher gestorbenen kleinen Joseph um Hilfe. Einen Tag später war das Ohr vollständig geheilt. Zélie berichtete: „Als ich eines Tages mit ihr vom Besuch des Arztes zurückkam, der mir nichts Gutes gesagt hatte, und ich daraufhin das Unvermögen aller erkannte, hatte ich plötzlich die Eingebung, mich an meinen kleinen Joseph zu wenden, der fünf Wochen zuvor gestorben war. Ich nahm also das Kind beiseite und ließ es ein Gebet zu seinem heimgegangenen Bruder sprechen. Am nächsten Morgen war das Ohr vollkommen geheilt, der Ausfluss hatte plötzlich aufgehört, und das Kind hat nie wieder etwas davon gespürt. Ich habe noch mehrere andere Gnadenerweise erfahren dürfen; sie waren aber weniger auffällig als dieser. Du siehst, liebe Schwägerin, es ist ein großes Glück, kleine Engel im Himmel zu haben, aber dadurch ist es für die menschliche Natur nicht weniger schmerzhaft, sie zu verlieren. Das sind eben die großen Leiden unseres Lebens.“ Von diesem Augenblick an riefen die Eltern Martin immer wieder die verstorbenen Kinder um ihre Fürsprache in ihren verschiedenen Nöten an.


Dieser Gewohnheit bediente sich später auch Thérèse, als sie von qualvollen Skrupeln geplagt wurde. Sie schreibt in der „Geschichte einer Seele“: „Als Marie in den Karmel eintrat, hatte ich noch sehr unter meinen Skrupeln zu leiden. Da ich mich ihr nun nicht mehr anvertrauen konnte, wandte ich mich an den Himmel. An die vier kleinen Engel wandte ich mich, die mir dahin vorausgegangen waren. Denn ich dachte mir, diese unschuldigen Seelen, die niemals Verwirrung und Furcht gekannt haben, müssten Mitleid mit ihrem armen Schwesterchen haben, das auf Erden litt. Ich redete mit ihnen in der Direktheit eines Kindes. […] Ihr Heimgang in den Himmel schien mir kein Grund, dass sie nun nicht mehr an mich zu denken bräuchten. Im Gegenteil, da sie sich sogar in der glücklichen Lage befänden, aus den geistlichen Schätzen schöpfen zu können, sollten Sie für mich doch daraus den Frieden hervorholen und mir auf diese Weise beweisen, dass man es im Himmel nicht verlernt zu lieben! Die Antwort ließ nicht lange auf sich warten. Bald strömten die köstlichen Wogen des Friedens in meine Seele und ich verstand: Auf Erden war ich geliebt und auch im Himmel. Von da an wuchs meine Verehrung für meine kleinen Geschwister und oft und gerne unterhalte ich mich mit ihnen und erzähle ihnen von der traurigen Verbannung und von meinem Verlangen, sie bald in der Heimat wiederzusehen“ (Ms A 44r).


Am Lebenszeugnis der Familie Martin können wir ablesen, dass die Botschaft des christlichen Glaubens in der Situation des Verlustes eines Kindes Trost, Hoffnung und sogar Freude gibt. Zum Schmerz und zur Trauer über ein früh verstorbenes Kind kommt die frohe Gewissheit, dass das verstorbene, mit dem Sakrament der Taufe beschenkte Kind das Ziel, für das es geschaffen ist, bereits erreicht hat: Es darf für immer bei Gott sein und kann dort als Glied der Familie für die Hinterbliebenen eintreten.


Ein besonderer Schmerz für gläubige Eltern ist es, wenn ein Kind während der Schwangerschaft oder bei der Geburt stirbt, ohne dass es die Taufe empfangen konnte. Wenn auch die Sorge um das ewige Heil eines solchen Kindes heute gesellschaftlich nicht mehr so verbreitet ist, stellen sich gläubige Eltern zu Recht diese Frage und hoffen, dass ihr Kind das letzte Glück bei Gott findet. Es ist gut, auch einem noch im Mutterleib verstorbenen Kind einen Namen zu geben und es mit diesem Namen im Gedächtnis zu behalten. Wenn es die Umstände zulassen, wäre es gut, ein solches Kind nicht in einem anonymen Gemeinschaftsgrab, sondern im Familiengrab beizusetzen, eventuell verbunden mit einer kleinen kirchlichen Feier. Wenn das aufgrund der Gegebenheiten nicht möglich ist, kann man für das Kind irgendwo einen Gedenkort schaffen, damit es in Erinnerung bleibt. Es gibt an manchen Orten bereits solche Gedenkstätten für ungeborene oder früh verstorbene Kinder, sie werden auch Sternenkindergräber genannt. Besonders wertvoll und trostreich ist es, wenn für solche Kinder eine Messe gefeiert wird, um sie in der Eucharistie der Erlöserliebe Jesu Christi anzuempfehlen. Aufgrund der Erbsünde bedarf jeder Mensch der Erlösung und diese Gnade wird in der Eucharistiefeier gegenwärtig. Im Glauben an Gottes Liebe und Barmherzigkeit finden wir Gründe zur Hoffnung, dass ungetauft gestorbene Kinder gerettet werden und zu Gott gelangen können. Diese Überzeugung bringt auch der Katechismus der Katholischen Kirche in Nr. 1261 zum Ausdruck: „Das große Erbarmen Gottes, ‚der will, dass alle Menschen gerettet werden‘ (1Tim 2,4), und die zärtliche Liebe Jesu zu den Kindern, die ihn sagen lässt: ‚Lasst die Kinder zu mir kommen; hindert sie nicht daran!‘ (Mk 10,14), berechtigen uns zu der Hoffnung, dass es für die ohne Taufe gestorbenen Kinder einen Heilsweg gibt.“


Wenn der Schmerz über den Verlust eines Kindes im Herzen brennt, soll auch das Gespräch mit einem Seelsorger nicht gescheut werden. Es ist gut, im Schmerz nicht allein zu bleiben, und ein Gespräch oder gemeinsames Gebet kann Wunden heilen.


Mögen die hl. Eltern Martin allen betroffenen Eltern Vorbilder und Fürbitter sein. Weiterführende Informationen und Hilfen zum Thema erhalten sie unter anderem auch beim Bistum Eichstätt – Fachbereich Lebensschutz:

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